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Waldemars Altarchiv

Im Lande der Richter und Henker *)

Deutsch sein hieße eine Sache um ihrer selbst willen zu tun, erklärte Richard Wagner und ich fürchte, der hat das völlig ironiefrei gemeint. Wenn man aber beim Lesen Sarkasmus und Grauen dahinter zu erkennen vermag, ist der Spruch nicht einmal ganz falsch. Er ist nur unvollständig. Der wahre Deutsche tut die Sache nicht allein um ihrer selbst willen. Er braucht das Tun auch, um sich selber daran zu erheben, im Tun der Sache seine eigene Größe zu erleben.

Es dürfte angesichts der jüngeren Geschichte unnötig sein, noch ausdrücklich zu erwähnen, wohin diese Verhaltensweise zu führen vermag. Seit Daniel Goldhagens **) These frage ich mich das eine oder andere Mal, ob es nicht wirklich so etwas wie einen deutschen Charakter gibt, der unter bestimmten Voraussetzungen eben zu historisch einzigartigen Konsequenzen führen kann. Ich habe das für mich immer letztlich verneint und mich eher der Browningschen Theorie angeschlossen, dass der Mensch als solcher ein verkapptes Monster ist, das unter bestimmten äußeren Umständen aus ganz normalen Menschen ***)  unvorstellbare Schreckensgestalten machen kann. Aber manchmal beschleichen einen daran Zweifel. Da hätten wir das Phänomen der Stasi. Beispiellos auf der Welt ist die Perfektion und vor allem das Verhältnis zwischen Bevölkerungsanzahl und Mitarbeitern und Spitzeln dieses Apparates. Von Tscheka bis KGB hat selbst die Mutter dieses „Dienstes“ das niemals zu schaffen vermocht, obwohl die sogar noch einige Jahrzehnte mehr Zeit hatte.

Manchmal aber bekommt man seine Eindrücke auch auf einer ganz kleinen Ebene, fernab von Menschheitsverbrechen. Seit vielen Wochen gibt es in diesem Lande eine durchaus erkleckliche Anzahl von Menschen, denen nichts mehr am Herzen zu liegen scheint, als die missratene Doktorarbeit des Karl Theodor zu Guttenberg. Schon der Beginn des Ganzen hatte einen sehr grenzwertigen Geschmack, über den politisch und menschlich motivierten Hass auf einen erfolgreichen Politiker der konservativen Seite hinaus. Ich sah es so vor mir. Zum Beispiel diesen Menschen aus Bremen, wie er wühlte, bis er etwas fand, womit er diesen Mann Guttenberg nachhaltig schädigen konnte. Was er wohl gefühlt haben mag, seine Zeit so zu verbringen. Aber dies mag noch immer hasserfüllt politisch motiviert gewesen sein und damit bösartig, aber im Normbereich der politischen Auseinandersetzung liegend. Schon ganz anders wird mir bei dem, was sich dann Guttenplag Wiki nannte. Das offene, akribische Arbeiten an der Denunziation. Wenn ich die Vorstellung wage, dass sich zu meiner Zeit Mitschüler oder Kommilitonen zusammengefunden hätten, um mit Leidenschaft einen anderen des Mogelns zu überführen und damit seine Note, seine Prüfung und seine Reputation zu vernichten, dann sehe ich, dass nur tiefe Verachtung und vielleicht auch körperliche Folgen für jene die Konsequenz gewesen wäre. Speiübel wäre nicht nur mir geworden. Aber es hätte eben auch der schlimmste Streber nie gewagt, da er sich der Ächtung hätte aussetzen müssen. Genau das war hier anders. Die Medienwelt stilisierte das Denunziantentum zur Heldentat. Und damit wird es deutsch. Es war die Stunde, in der die gehässigsten Gefühle herausgelassen werden konnten und man dennoch auf der Seite des Guten und Richtigen stand. Man war der Anständige, der die akademische Welt (und politische gleich dazu) von dem Betrüger säubern konnte. Die Mühe, die dahinter steckte und die große Anzahl von Menschen aus höheren Bildungsschichten, die sich daran beteiligten und sich selber feierten spricht Bände. Man tat eben seine selbstverständliche intellektuelle Pflicht um der reinen Wissenschaft willen und konnte doch dabei die eigene Größe darin erleben, an einem großen Gemeinschaftswerk beteiligt zu sein, wo doch zuvor niemand von einem selber ausreichend Kenntnis genommen hatte und der Betrüger dagegen bis dahin gefeiert im Rampenlicht stand. Wenn man allgemein verachtete Verhaltensweisen plötzlich zu gesellschaftlichem Konsens erklärt, dann bricht es in diesem Lande offenbar förmlich massenhaft hervor. Und der muss die Augen ganz fest verschließen, der vermeiden möchte, dass ihm Verhaltensparallelen zu Deutschen einer anderen, der furchtbarsten Epoche ihrer Geschichte einfallen. Genau an dieser Stelle stellt sich dann mir die Frage, ob dasselbe auch in einem anderen Land so geschehen würde. In England, dem Land der Fairness oder im Süden, in der Region des Lebens und Leben lassens. Es ist müßig, reine Spekulation. Aber es hat mein Nachdenken über das spezifisch Deutsche erheblich angeregt.

Und es ist steigerungsfähig. Tatsächlich hatten all jene in der Sache Erfolg. Der Doktortitel wurde aberkannt, das damit in keinem Zusammenhang stehende politische Amt musste aufgegeben werden, der betroffene Mensch blamiert, die akademische Reputation vernichtet und dem politischen Gegner war bleibender Schade zugefügt worden. Sie hatten ihr Urteil sprechen dürfen, die selbsternannten Richter. Also Befriedigung erreicht? Mitnichten. Das mag auch daran liegen, dass zum Unwillen der Denunzianten außer den Medien keiner sie feierte und die Popularität des charismatischen Gestürzten ungebrochen blieb, im Gegenteil eine beispiellose Solidarisierungswelle rollte, die nur durch einen Tsunami gebremst werden konnte. Aber die Wut darüber ist auch das einzige was jene entschuldigend sagen könnten, die jetzt, da der Gegner am Boden lag, erst recht ihre fast schon sexuell motivierte voyeuristische Gier herausließen, um es nun bis zum letzten auszukosten. Dass die Uni Bayreuth den großen Jäger mit erhobenem Zeigefinger machte, ist einsichtig, denn nur so glauben die hochmögenden Professoren sich aus der Lächerlichkeit befreien zu können, diejenigen zu sein, die nichts bemerkt haben. Also bläst man besonders laut zur Jagd und sucht größtmögliche Öffentlichkeit für das selbstgeschriebene Verdikt. Das ist nicht ganz neu, in Frankreich wie Tschechien waren es nach dem Kriege auch die Widerständler der allerletzten Sekunde, die am lautesten auf Kollaborateure los gingen. So wäre hier noch kopfschüttelndes Schulterzucken angesagt gewesen. Nun aber beruft sich doch glatt der Gestürzte auf Persönlichkeitsschutz. Wenn man bedenkt, dass Mörder in dieser Zeit juristisch erfolgreich Internetseiten dazu zwingen können, Berichte über ihre seinerzeitigen Taten zu löschen, weil ihr Name darin steht, dann sollten man meinen, dass gerade die Datenschutzgesellschaft an diesem Punkt denn Verständnis dafür aufbringen würde, dass es nun gut wäre. Keineswegs, das Geheul bricht los. Dabei geht es gar nicht um Mord, sondern um das simple Mogeln in einer Promotionsarbeit, etwas hochpeinliches und nur noch höchstpersönliches, nachdem alle öffentlichen Konsequenzen schon erfolgt sind. Natürlich möchte keiner seine Fehler, für die er mit Amtsverlust und öffentlicher Bloßstellung den höchsten Preis schon gezahlt hat, noch im Detail durch Medien und Netz gedreht und gewendet sehen; aber welch ehrenwerter Mensch denkt sich schon selber in diese Rolle hinein, wo er doch gerade jetzt das erhabene Gefühl der eigenen Unfehlbarkeit hat und sich nur enttäuscht und erbost um die verdiente Endstufe seines Vergnügens gebracht sieht. Laut ist der Schrei danach, wirklich alles serviert zu bekommen und Wut kommt auf, wenn eventuell auch noch der Strafprozess ausbleiben sollte. Wen interessiert noch Verhältnismäßigkeit, wen, dass die Straftat, wenn es denn überhaupt eine ist, diese rechtstaatliche Unschuldsvermutung ist in diesem Fall ja auch so störend, allenfalls mit dem unbezahlten Download einer Musikdatei vergleichbar wäre, was bei unbescholtenen Tätern in diesem Land nicht wirklich zu einer Verurteilung führt. Da werden Rechtsanwälte aus der Bekanntschaft befragt, wie sie das öffentliche Interesse in der Causa Guttenberg so sehen würden und das anschließend ins Netz posaunt, da wird ein Artikel nach dem anderen, immer desselben Inhalts, über zwei Wochen gepostet, mit der eigenen selbstgerechten Empörung gleich dazu. Es ist nichts anderes, als das leidenschaftliche Verlangen als Rechtschaffener sich an der öffentlichen Hinrichtung ergötzen zu können, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, repräsentiert man doch die gerechte Sache. Nicht der “Pöbel” ist es, der hier schreit, es ist der Bildungsbürger, es ist der sozial Engagierte, der Linke, der Grüne, es sind all jene, die sich selber so weit weg von dieser Primitivität wähnen und überhaupt nicht bemerken, wo sie sich befinden. Es sind dieselben, die stets geradezu ein Schild vor sich herantragen, auf dem vermerkt ist, dass sie das „andere“ Deutschland wären und gelegentliche Blockaden von NPD Demos für antifaschistische Widerstandshandlungen halten (wobei keinem von ihnen je das Groteske auffallen würde, wenn der eine oder andere Mitdemonstrant sich am nächsten Tag bei der Palästinademo neben der Hamas einreiht). Im Falle Guttenberg ist eben alles anders. Denn der Delinquent ist ein Konservativer, da darf man das Dunkle in einem selbst heraus lassen, ohne dass es einem dunkel vorkommen muss. Jemand, den ich eigentlich schätzen gelernt hatte, war es, der unbeabsichtigt es so genau auf den Punkt brachte. Es gäbe in meinem Verein doch bessere Leute, als den Guttenberg, warum ich mich also darüber so echauffieren würde. Ein Satz, der lange in meinem Kopf blieb. Weil es also bessere geben würde, könne man ihr doch das kleine Vergnügen der Hexenverbrennung dieses einen gönnen. So heißt das nämlich im Umkehrschluss und alle Zivilisation, Gleichheitsgrundsatz, Fairness, Recht sind mit einem Mal außer Kraft gesetzt, natürlich nur in diesem einen Falle, aber da könnte man sich doch einmal ausleben. Wo Medien und so viele andere, die auch so denken, es doch zur richtigen Sache machen und man diese wohlige Sicherheit der Gesinnungsgemeinschaft hat.

Das ist dann der Moment, wo mir kurz der Atem stockt und ich mich frage, ob unter bestimmten Voraussetzungen der ganz gewöhnliche Deutsche nicht doch noch immer tief drinnen schlummert.

*)  Karl Kraus, zit nach: Wilhelm Alff, Karl Kraus und die Zeitgeschichte, in: Kraus, Die Dritte Walpurgisnacht, S. 325

**) Daniel Jonah Goldhagen „Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust.“

***)  Christopher R. Browning: „Ganz normale Männer: Das Reserve-Polizeibataillon 101 und die „Endlösung“ in Polen.“

Über Waldemar Alexander Pabst

Undogmatischen Konservativer. Nazifeind, Antikommunist, entschiedener Gegner jedes religiösen Totalitarismus, Rassismus und nicht zuletzt der Verschwörungstheoretiker. Bekennender Israelfreund und das, was man einmal einen “Atlantiker” nannte. Vertritt uneingeschränkt das Gesellschaftssystem der freien Welt. Blog: https://schwarzoderweiss.wordpress.com/

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