Ja, ich habe Helden.
Ich kann es nicht verleugnen und will es schon gar nicht. Sie sind nicht rein und heilig. Sie waren auch Soldaten im Vernichtungskrieg der Nazis. Nicht jeder von ihnen ist frei geblieben von persönlicher Schuld. Nicht jeder von ihnen war von Anfang an ein Gegner des Regimes. Aber alle haben sich im Wissen um die nur geringen Chancen und das daraus folgende furchtbare eigene Schicksal zum Handeln entschlossen und fast alle wurden am Fleischerhaken von Plötzensee ermordet. Es zeigt die ganze Überheblichkeit von bestimmten Nachgeborenen, wenn sie sich heute damit beschäftigen, ob die Motive der Gemordeten lauter genug waren, ihr Demokratieverständnis lupenrein vor den Kriterien des deutschen Linksintellektuellen des 21. Jahrhunderts bestehen kann, ob sie sich zu spät entschlossen und was sonst der Spießer in seinem bundesdeutschen Wohnzimmer braucht, um sich selber Menschen gegenüber überlegen zu fühlen, die Übermenschliches geleistet haben.
So spekulierte in der Welt ein „Historiker“ darüber, wie es denn weiter gegangen wäre, wäre das Attentat gelungen; nicht ohne sich in einem zusammenhangsfreien Nebensatz zu fragen, warum der Stauffenberg, der nur noch eine Hand besaß, an der ihm drei Finger verblieben waren, Hitler nicht einfach erschossen hätte. Und wie denn der Krieg im schlechtesten Fall hätte weiter verlaufen können, ob die Russen zum Rhein gekommen wären. Der Seitenhieb sei mir gestattet, wenn das also die ordentlich Habilitierten sind, ist nachvollziehbar, dass einem außerhalb des akademischen Wolkenkuckucksheims Stehendem da ein klar denkender und handelnder Mensch mit plagiierter Promotion doch erheblich lieber ist. Stauffenberg nämlich konnte gar nicht schießen und der Krieg wäre kurzfristig mit der Kapitulation zu Ende gegangen. Abgesehen davon, dass die Westfront vor dem Zusammenbruch stand und im Osten der Zusammenbruch bereits erfolgt war und nur die Fehler der Westalliierten und die methodische Zögerlichkeit der Roten Armee es verhinderten, dass der Krieg, wie von den Deutschen, auch den Verschwörern, erwartet, schon wenige Wochen später am Ende war, beruhte die deutsche Kriegsfähigkeit, das von Rückwärtsgewandten der rechten Couleur bis heute beschworene speersche Rüstungswunder, nicht nur auf einzigartiger Organisations- und Improvisationsfähigkeit, sondern in erster Linie auf Sklavenarbeit, dem KZ System, Hunderttausenden von Toten. Die Befreiung der Lager wäre notwendiger Weise das Ende der Kampffähigkeit der Wehrmacht gewesen. Ein Erfolg am 20. Juli hätte damit unausweichlich das Kriegsende zur Folge gehabt, unterstellt man zu Recht, dass die neue Regierung dem Menschenmorden in den KZ’s Einhalt geboten hätte, so einfach ist das und das war vielen der Verschwörer klar. Spekulationen über eine hypothetische Fortführung des Krieges sind überflüssig, politische oder militärische Handlungsoptionen gab es keine mehr. Allerdings war der Krieg angesichts der immer schwächer werdenden Ressourcen des Reiches und der immer größer werdenden seiner Gegner und des bewussten Abbrechens aller Brücken zu einem Kompromissfrieden durch den Beginn der Shoa bereits seit der Schlacht um Moskau und der gleichzeitigen Kriegserklärung an die USA verloren.
Darum war es sinnlos? Oder gar Verrat? Welch ein Unfug. Nach dem 20. Juli setzte im Endkampf des Krieges das Massensterben der Agonie ein. Wie immer man rechnet, es rechtfertigt alles. Es hätten Millionen von Menschen nicht sterben müssen, die in den folgenden Monaten auf die eine oder andere grauenvolle Weise zu Tode kamen. In den Lagern Gemordete, zwischen die Fronten geratene Zivilisten, Bombentote, Soldaten. Und wer es nur aus deutscher Sicht sehen möchte, dem sei gesagt, es starben mehr Deutsche, als in allen Kriegsjahren zuvor, es wäre zwar der deutsche Osten immer noch verloren gewesen, aber es hätte die Chance bestanden, dass seine Bewohner auf weniger furchtbare Weise und mit sehr viel weniger Toten ihre Heimat verloren hätten. Bis heute gibt es Moralisten, die über das Phänomen des Tyrannenmordes, zum Teil religiös motiviert, philosophieren und gar noch den Zeigefinger heben, ob es denn zu rechtfertigen wäre, dass „Unbeteiligte“ beim Attentat getötet wurden. Millionen andere stehen dagegen. Diejenigen, die bis heute feinsinnig darüber nachdenken, dass das Leben des Monsters und seiner Mitarbeiter ebenso viel Wert hätte, wie Millionen, mögen das tun, aber bitte ihre Studierstuben niemals verlassen und Verantwortung für andere tragen.
Zu spät? Sicher. Ja und es waren unter den Verschwörern einige, die erst durch das militärische Desaster zum Nazigegner geworden waren. Der Kern aber bestand aus Männern, die bereits vor dem Krieg entschlossene Gegner des Verbrecherregimes waren, zum Teil sogar bereits 1938 den Putsch geplant hatten, der ihnen durch das Münchner Abkommen aus der Hand geschlagen wurde. Wieder andere, jüngere haben durch die Kenntnis der ungeheuren Verbrechen, die erst mit dem Beginn des Ostfeldzuges ihren Ausgang ins menschheitsgeschichtlich Einzigartige nahmen, den Entschluss zur aktiven Opposition gefunden. Henning von Tresckow und seine Mitstreiter haben im Frühjahr 1943 drei Versuche unternommen, die scheiterten, aber nicht aufflogen. Wie viele Millionen Menschen hätte das gerettet? Das Scheitern ist den Widerständlern nicht zuzurechnen. Danach brach die Gestapo in die Abwehr ein, die gewissermaßen den Stab der militärischen Hitlergegner darstellte und es brauchte Zeit, sich zu reorganisieren. Dennoch gab es mindestens drei weitere ebenfalls an Zufällen gescheiterte Versuche. Nein, es ist schlicht gelogen, zu suggerieren, erst als der Zusammenbruch offensichtlich war, wäre gehandelt worden. Nein, es ist nicht nur gelogen, es ist schäbig.
Finis Germaniae. Sagte, wie es Hans Bernd Gisevius überlieferte*), der Admiral Canaris, als Hitler Polen überfiel, der Krieg begann und war nicht der einzige, der dieses Ergebnis fürchtete. Nur an dieser Stelle lohnte das Spekulieren, sich die Frage zu stellen, was eigentlich aus diesem Land ohne den 20. Juli geworden wäre. Morgenthauplan und die unaussprechlichen Verbrechen Deutschlands im Hinterkopf. Es waren die Gerechten, die Lot in Sodom und Gomorrha nicht fand, auf die sich jene auf Seiten der Sieger berufen konnten, die ein (unverdientes) Weiterexistieren Deutschlands nach 1945 ermöglichten. Einer hatte dies voraus gesehen. Henning von Tresckow, entfernt vom Geschehen des Hauptquartieres erfolgreich damit beschäftigt, die 2. Armee vor dem Untergang zu retten und an der Weichsel nach dem Zusammenbruch der Heeresgruppe Mitte eine neue Front zu bilden, drängte Stauffenberg zum Handeln:
„Das Attentat muß erfolgen, coûte que coûte. Sollte es nicht gelingen, so muss trotzdem in Berlin gehandelt werden. Denn es kommt nicht mehr auf den praktischen Zweck an, sondern darauf, dass die deutsche Widerstandsbewegung vor der Welt und vor der Geschichte unter Einsatz des Lebens den entscheidenden Wurf gewagt hat. Alles andere ist daneben gleichgültig“
Klarer ging es nicht auszudrücken. Allen war bewusst, dass sie, selber in preußischer Militärtradition sozialisiert, danach bei vielen das Odium des Verrates haben würden, was sich bis tief in die Nachkriegszeit erschreckend bewahrheitet hat. Selbst im Angesicht der unabwendbaren totalen Niederlage, in die Hitler Deutschland geführt hatte, hätte es nach einem siegreichen Umsturz am 20. Juli 1944 Millionen von Deutschen gegeben, die in tiefer Überzeugung die zweite Dolchstoßlegende geglaubt hätten, wonach es die Attentäter gewesen wären, die das Reich um den Endsieg gebracht hätten. Der Volksgenosse musste die Katastrophe bis zur Neige auskosten, um zu verstehen, wem er sie zu verdanken hatte.
Es ist der böse Zynismus der Geschichte, der einem heute sagt, dass Deutschland die Erfolgsgeschichte seiner Nachkriegsexistenz nicht zuletzt zwei Komponenten zu verdanken hat:
Dass es den 20. Juli gegeben hat und dass er gescheitert ist. Tresckow hat uns überliefert, dass es ihm vorher bewusst war.
Held ist ein altmodischer Begriff, längst verteufelt. Wer aber jenen Weg geht, den die Männer des 20. Juli gegangen sind, jeder mit seinem Herkommen aus ganz anderen, schon damals längst verwehten Epochen, deren Grenzen er sprengen musste und dafür sich der Verachtung aussetzend den bitteren Tod am Galgen starb, ist für mich ein Held.
Ja. Ich habe Helden!
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*) Hans Bernd Gisevius, „Bis zum bitteren Ende“
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