Es war am 22. Juli, vor gerade 10 Tagen, als Anders Behring Breivik sich die zweifelhafte Prominenz eines Terroristen und Massenmörders verschaffte, in dem er al-Qaidas Anschläge von Nairobi, Daressalaam und Mumbai plagiierte, mit der Kreativität eines kranken Mörderhirns zusammenfasste, in sein Heimatland verpflanzte und eine krude Schrift verfasste, in der er ebenso krude Ergüsse eines anderen psychopathischen Mörders ebenfalls plagieerte (eine echte Plage, diese Plagiate) und mit aufgeschnappten politischen Kommentaren, die er sich erlesen hatte, anreicherte.
Die Tat als solche macht fassungslos. Anonym Bomben zu platzieren ist das Grauenhafte eine, mehr als eine Stunde lang in unmittelbarer Konfrontation mit den Opfern aus der Nähe Menschen zu erschießen und dabei nach Aussagen derer, die es bezeugten, emotionslos und geradezu gelassen geblieben zu sein, etwas anderes, etwas, das eine unmenschliche Empfindungskälte beweist, bei der man lange suchen muss, um selbst unter den furchtbarsten Mördern Entsprechungen zu finden.
Also ist es erst einmal voller Logik, dass sich der eine oder andere mehr oder weniger Berufene darüber politisch ausbreitet. Davon allerdings war die Woche dann übervoll und das Maß des Erträglichen schnell überschritten.
Noch während der Mörder wütete, begann man automatisch über islamistischen Terror zu spekulieren, was bei Spiegel-Online dazu führte, wenige Tage danach sich gedankenschwer über Vorurteile auszulassen. Was eigentlich ist daran ein Vorurteil, wenn man seine Erfahrungen der letzten Jahre zu Grunde legt? Anschläge dieser Art braucht man dem islamistischen Terror nicht zu unterstellen, sie sind entsetzliche Realität, nicht ohne Grund hat der Mörder sie sich zur Vorlage genommen. Das Wesen des Vorurteils besteht darin, dass es nicht stimmt, eben nur eine Unwahrheit ist, die man anderen unterstellt. Nur ist es eben keine unlautere Unterstellung, den al-Qaidas nachzusagen, massenweise, in zum Teil recht fantasievoller Form, wahllos Menschen umzubringen, nein sie tun es, es ist gewissermaßen der Zweck ihrer Organisation, weshalb ich mich in keinster Weise gräme, auch diesen Gedanken als erstes gehabt zu haben und den Mördern, denen es nach 72 Jungfrauen gelüstet, gegenüber auch nicht einen Hauch von Bedauern über meinen Irrtum fühle.
In einem von mir seit Jahren sehr geschätzten Onlinemagazin, warf eine Autorin die von ihr rhetorisch gemeinte Frage auf, warum denn bei so einem Anschlag von rechter Seite immer nur von einem wahnsinnigen Einzeltäter die Rede wäre, was auf den verzweifelten Wunsch hindeutet, endlich die weltumspannenden rechten bis neokonservativen Terroristengemeinschaften präsentiert zu bekommen, je nach persönlicher Vorliebe auch CIA oder MOSSAD gesteuert, von der jeder Verschwörungstheoretiker Tag und Nacht träumt und die dann und wann von deutschen Fernsehautoren erfunden werden, weil Terror ja im deutschen Film weder links noch islamistisch sein darf. Bei Breivig allerdings ist die Antwort dann doch vergleichsweise simpel: Weil er ein wahnsinniger Einzeltäter ist. Wer wie ich in den 70er Jahren zur Schule ging, hatte oft das höchst zweifelhafte Vergnügen auf einen frisch 68er sozialisierten Sozialkundelehrer zu treffen. In meinem Falle hat dies unerfreuliche Exemplar allerdings eine gar nicht dumme Frage zur Bewertung politischer Vorgänge in meinem Kopf hinterlassen. Cui Bono, wem nützt es, sollte man fragen, suchte man nach Hintergrund und Schuld. Wenn man im Hirn des Wahnsinnigen ein politisch zu nennendes Motiv finden wollte, dann war es wohl jenes, gegen Einwanderer im allgemeinen und den Islam im ganz besonderen vorgehen zu wollen, weshalb er mit umwerfender Logik norwegische Jugendliche erschoss. Wer auch nur annähernd rational zu denken in der Lage ist, dem wäre vorher klar gewesen, dass ein Sturm des Entsetzens losbrechen würde und über jeden, der auch nur vorsichtig an Einwanderungspolitik Kritik geübt haben könnte, hinweg fegte. Abgesehen davon, dass selbst der radikalste Islamist sich jetzt wohlig in der Opferrolle einnisten konnte. Nutzen hatten aus dieser Tat also nur die, die der Mörder in seinem Irrsinn glaubte, zu bekämpfen. Nein, nichts liegt mir ferner, als Verschwörungsgedanken; auch wenn nur seine von ihm ernannten Feinde Nutzen hatten, hat doch keiner von ihnen damit zu tun. Soweit geht „cui bono“ hier nicht. Aber es gibt eben auch nichts Organisiertes hinter seinen Morden, jeder Hintermann wäre dem Killer schon deshalb in den Arm gefallen, weil er der „Sache“ nur geschadet hätte. Nicht die gruseligste Neonazikameradschaft ist in der Lage, Breivigs Handeln auch nur nachvollziehen zu können. Ein Massenmord, dessen Opfer nicht einmal wirklich in das Hasschema des Täters passen und der vorhersehbar nur den Argumentationen derer nützt, die er bekämpft, kann nur die Tat eines einzelnen Wahnsinnigen sein. Das Absurde macht die Antwort, warum er „nur“ ein wahnsinniger Einzeltäter ist, so schlicht.
So schlicht, wie so viele einfach der Versuchung nicht widerstehen konnten, sich den Anders zu Nutze zu machen. Es muss die linke Seele einfach zu sehr gequält haben, seit Monaten diese heftige Diskussion aus ganz anderer, als rechter, Ecke über intolerante von einem politisch totalitären Islam geprägte Gegengesellschaften, die in manchen Städten entstehen. Sie zeichnen sich aus durch Schwulenhatz, gnadenloser Unterdrückung junger Frauen, Ersetzung des Rechts durch eigene mittelalterliche Vorstellungen, einen Antisemitismus mit allen Stürmerstereotypen, der von Rechts gebracht einen Aufschrei hervorgerufen hätte, aber bei Tätern aus Migrantenmilieus still übersehen wird und Ablehnung der offenen Gesellschaft. Dies alles mit denjenigen als Hauptleidtragenden, die samt islamischer Religion in unserer freiheitlichen Gesellschaft einfach nur wie andere auch leben und die Vorzüge der Freiheit genießen wollen und von denen nicht wenige sich zu Wort gemeldet hatten. Nicht der Sarrazin mit seiner unerträglichen Arroganz und seinem Sinn, aus Provokation ein Geschäft machen, hat wirklich weh getan, sondern all diese Glaubwürdigen, von Broders Achse des Guten, über türkische Autoren und Anwälte beiderlei Geschlechts, bis hin zu Alice Schwarzer. Und eben jene, die ihnen, ohne Furcht in die rechte Ecke gesteckt zu werden, folgten, über das Problem diskutierten, nicht gegen die Freiheit der anderen, sondern zur Verteidigung der freiheitlichen Gesellschaft, auf die wir zu Recht stolz sein können. Anders Breivig allerdings hat nun 1500 Seiten vollgekleckst und dabei auch Namen erwähnt, offenbar auch den von Henryk M. Broder, übrigens neben hunderten anderer, 1500 Seiten sind lang, von Angela Merkel über George Bush sen. bis zu Immanuel Kant und Franz Kafka. Aber die Symbolfigur Broder war das Stichwort. Zu schwer lag er mit seinem unnachahmlichen Schreibstil und dem erbarmungslosen den Finger in die Wunde legen dem deutschen Gutmenschen im Magen. Da man bisher einen jüdischen Autor zwar hassen und bekämpfen konnte, aber schwerlich zum Nazi erklären, erschienen Breivigs Manifestationen wie das Geschenk des Himmels. Broder der geistige Brandstifter eines rechten Attentates! Damit hofft man wohl, eine ganze Diskussion erschlagen zu können, nach dem Motto, wenn wir nicht drüber sprechen, nehmen wir das Problem auch nicht wahr. Weshalb jemand, der Feinde der Freiheit so benennt, jemand anderen, der ein ebensolcher Feind der Freiheit ist, zum Morden inspirieren soll, braucht ja inhaltlich gar nicht dargestellt zu werden, Hauptsache das Totschlagsargument wird genügend oft medial nachgeplappert. Also mal angenommen. ich ließe mich heute über den verregneten Sommer aus, eine ebenso unstrittige Tatsache, wie die erwähnten Gegengesellschaften, und irgendein Durchgeknallter am anderen Ende des Landes, der meine Klage mal gelesen hat, wie vieles andere auch, geht Pfarrer erschießen, um sich am lieben Gott für den Dauerregen zu rächen, würde ich mich dennoch nicht verantwortlich fühlen. So bin ich. Und ich würde mich weiter über das Wetter beklagen. Wer auch immer Anders Breivig benutzen will, die Kritik am totalitären Islam, nicht an der Religion schlechthin, zu versuchen einzuschüchtern, er wird sich täuschen! Niemand lässt sich darum zum Rechtsextremen machen, weil ein entfernter Irrer keine Moslems mag und er sich dennoch weiter gegen totalitäre Religionsansprüche wehrt. Ich täte dies im übrigen auch, wenn ich in den USA lebte und unter christliche Fundamentalisten geriete, die die Bibel an Stelle des Biologielehrbuches setzen. Weil man alles so hübsch in einen Topf werfen kann und sich gerade eine neue Partei gegründet hat, die sich bezeichnender Weise „Freiheit“ nennt, versucht man denn auch, die gleich moralisch mit zu vernichten, bevor sie noch gefährlich werden könnte, obgleich sie zur Zeit nur eine Splitterpartei unter anderen ist. Sie ist jetzt also rechtspopulistisch und damit, Überraschung, auch ein geistiger Wegbereiter des Mörders von Oslo. Ich muss diese Partei nicht mögen, außerdem gehöre ich ja nun seit 34 Jahren einem anderen Verein an, aber nachdem ich das Programm gelesen hatte, vermochte ich zumindest nichts “Rechtes” darin zu entdecken, es sei denn, man stellte schon den an den Pranger, wie es pfründeverteidigende Eurokraten schon mal machen, der sich kritisch zur EU in der heutigen Form stellt, aber das Problem hatte ja nun der Breivig nicht, da Norwegen schlauer Weise draußen geblieben ist und nicht Gefahr läuft, Griechenlands Pleite zu finanzieren. Aber die „Freiheit“ benennt halt auch den radikalen, politischen Islam als Feind der offenen Gesellschaft. Logische Folge: Geistige Brandstifter, mitschuldig! Ob jene, die so schreiben, das nun wirklich glauben oder nur verzweifelt nach den dümmsten Beweisketten greifen, erschließt sich mir nicht. Es ist auch gleichgültig, sie ändern das Problem nicht und werden darum auch die Diskussion darüber nicht mundtot machen können. Sollen sie also ihren Breivig benutzen.
Da können Etablierte natürlich nicht zurück stehen. Andrea Nahles wollte nach der Babypause wieder in der Zeitung stehen und kam so auf die Idee, als Konsequenz aus dem Anschlag das NPD Verbot aus der Mottenkiste zu holen. Die tatsächlichen und juristischen Probleme des ganzen sind zwar dieselben, die im letzten unseligen Verfahren die Neonazis triumphieren ließen und nichts, aber auch gar nichts, gibt es an Verbindungen zu Breivig, der kannte wahrscheinlich diese Nazisekte gar nicht, aber egal. Es kommt so gut, Andrea Nahles kämpft entschlossen gegen “Rechts” und weil die NPD so berechenbar dumm ist, antwortete sie flugs mit einem schäbigen Text und Frau Nahles hat noch einen zweiten Artikel. Anders sei Dank. Und jede Hoffnung war vergebens, denn auch mein Verein meldet sich zu Wort. Da jedwede Formen politischer Inhalte, gleich welcher Richtung, zur Zeit dank der Kanzlerin und ihrer Regierung bei uns so ganz auf der Outliste stehen, ist es dann auch eher technisch. Breivig hat ja dieses finstere Internet benutzt, da müssen wir uns doch dringend nochmals über die Vorratsdatenspeicherung unterhalten. Speichern gegen das Erschießen, Union 2011. OK, es war diesmal die Schwester CSU, aber besser macht es das auch nicht.
Der wirkliche Ekelpreis allerdings geht an den norwegischen Botschafter in Israel, einen Herrn namens Svein Sivje. Der nämlich entblödete sich nicht, in einem Hintergrundgespräch feinsinnige Unterscheidungen zu treffen, zwischen dem Terror der Hamas und dem des Breivig, da die Terrorfreunde Palästinas ja definierte Ziele hätten (unter anderem die Auslöschung des Staates Israel, was sie besetze Gebiete nennen), während der Anschlag von Oslo ja komplett unbegreiflich ist. Der Herr Botschafter beklagte sich dann auch hinterher nur wortreich darüber, dass man entgegen des üblichen Umgangs ein vertrauliches Hintergrundgespräch veröffentlichte, in der Sache bestätigte er es denn diplomatisch formuliert erneut (http://aro1.com/norwegischer-botschafter-terror-gegen-israel-ist-aber-verstaendlich/#more-15984). Dieser kranke Hass auf den Staat der Juden passt zu der absonderlichsten und, wenig überraschend in Deutschland nicht gerade heiß veröffentlichten, Randgeschichte des Anschlags. Nachdem man die Teilnehmer des Jugendlagers am Vortage gegen Israel aufgehetzt hatte mit wüsten Geschichten zur traurigen Unterdrückung der armen Palis, glaubten viele bei Breivigs Auftauchen anfangs an ein Rollenspiel, mit dem ihnen der fiese jüdische Terror demonstriert werden sollte (http://networkedblogs.com/kSt1n). Mir scheint, in Norwegen ist nicht nur Anders Breivig von Wahnvorstellungen befallen.
Was ließ sich also lernen? Mit Anders Breivig kann man wahlweise den weltweiten Terror der al-Qaida mit vielen Tausenden Ermordeter relativieren, die Verteidigung der offenen Gesellschaft gegen ihre Feinde zu diskreditieren versuchen, um sich endlich der leidigen Debatte zu entziehen, ob intolerante Gegengesellschaften mit mittelalterlichen Vorstellungswelten wirklich traumhaftes Multikulti sind, Vorratsdatenspeicherung erneut in die Diskussion bringen oder mal wieder die NPD verbieten, man kann auch Parteineugründungen gleich nach der Gründung in die rechte Ecke stellen, ohne ihr Programm lesen oder sich mit ihren Mitgliedern beschäftigen zu müssen und sich dabei der Gefahr auszusetzen, nichts Rechtsextremes darin finden zu können, jüdische Publizisten in Wegbereiter imaginärer rechter Terrornetzwerke konvertieren und genialer Weise am Beispiel des Anschlages auch erläutern, was nachvollziehbarer Terror ist und was solcher, der es nicht ist. Der weitere geistige Schritt vom guten (Hamas-) Mord zum schlechten (Breivig-)Mord ist ja nicht weit. Nur gut, dass das Monster in seiner Zelle isoliert ist und in seinen verdrehten Gedankenwelten gefangen, sonst würde ihm noch bewusst, mit was für vielfältigen Talenten es tatsächlich gesegnet ist. Bliebe einem angesichts der grauenhaften Tat und seiner Opfer nicht das Lachen im Halse stecken, das Ganze hätte fast eine bitterböse Komik.
Dieser Text hat einen Hang ins Zynische? Will ich nicht ausschließen. Allerdings empfinde ich es viel zynischer, all diese Ermordeten und die Tränen derer, die sie liebten, umgehend dafür zu nutzen, in absurdesten Argumentationssträngen auf die politischen Gegner los zu gehen und dabei schluchzend Krokodilstränen zu vergießen. Zynismus der verlogensten Art.
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