Ja, Gefühle können einen überrollen. Wer das meint bestreiten zu können, gehört zu den Ahnungslosen, die nicht wissen, auf welch dünnem Eis sie stehen und nur das Glück oder Unglück, je nach Betrachtungsweise, hatten, nicht zufällig auf die Bruchstelle gekommen zu sein. Aber jeder Mensch muss sich gerade in Extremlagen seine Grenzen selber definieren. Mit einer 16jährigen geht man halt nicht in ein Hotel. Das überschreitet eine solche Grenze und ist bei aller Liebe auch dem Betroffenen klar. Man muss schon sehr schmerzfrei sein, um sich dabei nicht ganz widerlich vorzukommen. Ich stelle mir gerade so den Check-In vor, das Frühstück, den Roomservice und denke, ich würde sterben wollen, hätte ich das an Stelle des Boettichers erlebt. Dennoch, keine Frage, echte Liebe kennt kein Gebot, und wie irrational sogar die Entwicklung zu solchem Tun zustande kommt, kann vielleicht der, der schon wirklich geliebt hat, ein wenig nachvollziehen, wenn auch nicht billigen.
Nun waren dies die moralischen und geschmacklichen Kategorien, verboten ist es nicht. Nicht einmal, wenn man Ministerpräsident werden will. Politik allerdings hat ihre eigenen inneren Gesetzmäßigkeiten und Aufgabenstellungen. Job einer Partei ist es, flapsig formuliert, eine Wahl zu gewinnen. Und die Aufgabe ihres Führungspersonals besteht darin, das ihre zu tun, dafür die Voraussetzungen zu schaffen. Wie ein Mensch glauben kann, mit solcher Vorgeschichte eine Landtagswahl durchstehen zu können und Ministerpräsident zu werden, ist mir schleierhaft und eine Form der Abgehobenheit, die an sich schon strafwürdig ist. Es geht nicht um Doppelmoral der Parteifreunde oder Intrige, sondern in dieser Sache darum, die Reißleine zu ziehen, um nicht die Wahlen von vornherein aufzugeben. Das hat der gute Peter Harry Carstensen getan, in dem er eingeschritten ist und den Stopp gesetzt hat. Und das war seine Aufgabe im Sinne seiner Verantwortung für den Erfolg der Politik der Partei, völlig frei von jeder menschlichen Bewertung des Herrn von Boetticher oder philosophischer Moralbetrachtungen seines Handelns. Ganz pragmatisch. Natürlich kam bisher vom Gegner nichts. Der nämlich hat sich das ganz sicher für die letzten zwei Wochen vor der Wahl aufgehoben gehabt. Wie auch immer die Diskussion dann getobt hätte, absolut sicher wäre die Niederlage gewesen. Dass ein von Boetticher dies sich nicht selber gesagt hat, bevor er Kandidat wurde, ist wie gesagt, gänzlich unverständlich. Ein angreifbares Privatleben, und ich weiß nur zu genau, was das ist, ist in einem Wahlkampf tödlich, zumal, wenn man für höchste Ämter antritt.
Warum er mir jetzt aber auch unsympathisch wird und was das allzumenschliche völlig aufhebt, ist seine Verhalten nach der Liebesaffäre. Wenn ich liebe, wirklich liebe, dann bin ich dafür auch bereit, anderes, mir bisher wichtiges, aufzugeben. Auch das ist von mir mehr, als nur daher gesagt. Auch ohne Partei und Fraktionsvorsitz und ohne Ministerpräsident zu werden, wäre er ja nicht pleite gegangen, hätte sogar auf weniger heraus gehobener Ebene weiter erfolgreich Politik gestalten und zu einem anderen Zeitpunkt wieder nach vorn gehen können. Jung genug ist er. Wenn man schon so tief in die Abgründe der eigenen Gefühlswelt hinein geraten ist, ohne rechtzeitig den notwendigen Absprung geschafft zu haben, dann schlängelt man sich eben noch mit ihr zwei Jahre halbwegs anständig durch und bekennt sich dann in Gottes Namen hinterher dazu. Das ist doch der Restanstand im Amoklauf der Gefühle, den es voraussetzt, wenn man trotz der moralischen Zweifelhaftigkeit mit der16jährigen großen Liebe ins Hotel geht. Statt dessen anschließend Schluss zu machen, weil einem die Karriere zu winken scheint, und zu allem Überfluss, wahrscheinlich aus demselben Grund, die Vernunftlebensgefährtin ein paar Monate später zu ehelichen, ist endgültig disqualifizierend. Ein ungemein schwacher Mensch, der da vorgibt, geliebt zu haben und ein ziemlich bedenkenloser Verrat an der so jungen Liebsten, auch wenn die so sympathisch gescheit und cool in ihren Statements damit umzugehen scheint.
Das wiederum schlägt die Brücke zurück zur Politik. Es disqualifiziert ihn. Schwäche und die Bereitschaft zur opportunistischen Aufgabe des einem eben noch wichtigen, sind genau die Eigenschaften, die wir in der Politik schon bei zu vielen haben und die den Überdruss an Politik bei vielen Menschen erst geschaffen haben. Das Bekenntnis zu dem, wofür man steht, ist das, was uns fehlt. Christian von Boetticher ist leider nur einer der vielen Politiker, die die Welt nicht braucht. Nicht einmal Deutschland.
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