Das politische Spiel hat seine Rituale. Zum Beispiel, dass man die spannendsten Dialoge mit Hilfe von Zeitungen führt. Ich erzähle also der Zeitung A, was ich so über meinen Verein und seine Protagonisten denke, und letztere laufen dann zur Zeitung B, um das zu widerlegen und auch mal so richtig klar zu stellen, dass ich eh ein abgehalfterter Typ von gestern wäre, wahlweise auch verbittert oder senil. Den Verein bringt das nicht immer (aber doch manchmal) weiter, für den Leser hat das durchaus einen amüsanten Unterhaltungswert, insbesondere dann, wenn man nach dem Lesen der verärgerten Antworten feststellt, dass sie eigentlich, wenn man sie denn inhaltlich wertet und in Bezug zur Realität stellt, den Angriff nur bestätigen.
Mein Kanzler meldete sich zu Wort und weil man ihn ja krankheitsbedingt schon abgeschrieben hatte, im Vorurteil der Annahme, dass wer nicht mehr sprechen kann auch keinen scharfen Verstand mehr haben könne, war die Wirkung besonders treffend:
„…Deutschland ist schon seit einigen Jahren keine berechenbare Größe mehr – weder nach innen noch nach außen“, sagte Kohl der Zeitschrift „Internationale Politik“…
… Er frage sich, „wo Deutschland heute eigentlich steht und wo es hin will“,
… er hätte sich nie träumen lassen, „dass ich einmal erleben muss, dass ein amtierender amerikanischer Präsident nach Europa kommt und über die Bundesrepublik hinwegfliegt, ich könnte auch sagen, über sie hinweggeht“,
„… Die enormen Veränderungen in der Welt könnten keine Entschuldigung dafür sein, wenn man keinen Standpunkt oder keine Idee hat, wo man hingehört und wo man hin will…“
Die Repliken folgten und mögen sie auch Empörung ausdrücken wollen, so erscheinen sie doch seltsam hohl:
„Die Verdienste Helmut Kohls als Kanzler der deutschen Einheit und der europäischen Einigung sind nicht hoch genug einzuschätzen. Jede Zeit hat ihre spezifischen Herausforderungen. Die christlich-liberale Bundesregierung arbeitet daran, die Herausforderungen unserer Zeit zusammen mit unseren Partnern in Europa und der Welt entschlossen zu meistern.“
Angela Merkel
„Die von Helmut Kohl genannten Grundprinzipien deutscher Außenpolitik – wie die transatlantische Partnerschaft, die Einigung Europas und die deutsch-französische Freundschaft – bestimmen auch heute das Handeln der Regierung von Angela Merkel“
Herrmann Gröhe
Und Guido Westerwelle, das ist dieser linkische in die Jahre gekommene Junge, der sich für den deutschen Außenminister hält, bastelt gleich „eine „neue Weltarchitektur“ geschmiedet mit erfolgreichen Ländern in Asien, Lateinamerika, Afrika oder an anderer Stelle“. **)
Antworten, die noch vernichtender als die Kritik sind.
Dass jede Zeit ihre eigenen Herausforderungen hat, ist eine Leerformel. Thema war ja die Art und Weise, wie man den Herausforderungen begegnet. Und die besteht bedauerlicherweise zur Zeit aus Wegtauchen, Heraushalten und Entscheidungsverzögerung (im Gegensatz zu meinem Kanzler fehlt es mir an der Kunst, es feinfühliger zu formulieren). So schmerzlich es ist, diese Handlungsformen führen bei nahezu jeder Art von Herausforderung, wie neu sie auch immer sein mag, zum selben Ergebnis: Verständnislosigkeit bei den Partnern und Respektverlust beim Rest der Welt. Wenn nun Angela Merkel sich versucht, still aus dem Thema zu flüchten und auf die Andersartigkeit der Herausforderungen abzustellen, gibt sie nur allzu deutlich zu, dass sie zum eigentlichen Punkt keine Antwort hat. Wie diese Regierung alles „zusammen mit unseren Partnern meistert“, kann man sich ja allabendlich in den Nachrichten ansehen. Also zumindest, wenn man hartgesotten genug ist, sich das anzutun.
Herrmann Gröhe, das treuliche Sprachrohr, wiederum versucht zur selben Zeit glaubhaft zu machen, dass sich an den Grundsätzen ja gar nichts geändert hätte. Passt nicht ganz zu Frauchens Erklärung, aber OK, in den kleinen Differenzen spiegelt sich ja nur die Verzweiflung. Allerdings hat auch keiner jene unveränderten Grundsätze in Zweifel gezogen, das Problem ist, dass diese Grundsätze von niemandem mehr beachtet werden. Im Grunde bis heute hat man in Berlin nicht erkannt, dass in den USA seit einigen Jahren ein Präsident regiert, der aus Hawaii stammend und zeitweilig in Asien aufgewachsen, einen ganz anderen Blick auf die Welt hat, als seine Vorgänger, einen Blick, der vermutlich sogar richtig ist; ich fürchte nur in Europa hält man Europa noch für wichtig. Hätte man es erkannt, hätte man daraus die Konsequenz ziehen müssen, sich in erheblicher Weise um die Partnerschaft mit den USA neu zu bemühen, vor allem durch aktives gemeinsames Handeln, damit so ein Präsident auch dann einmal in Berlin landet, wenn er nicht die Absicht hat, dort eine Wahlkampfrede vor historischer Kulisse zu halten. Es ist unsere Aufgabe, uns darzustellen, nicht die amerikanische, uns wahrzunehmen. Wir sind nicht China. Frankreich macht das wie selbstverständlich. Überhaupt Frankreich. Die sehen sich ja oft, die Angie und der Sarko, das hatte wohl auch der Herr Gröhe im Auge. Nur könnte das daran liegen, dass Frankreich, zwar selbstbewusst, aber doch nur halb so stark, wie es gern wäre, die Deutschen dazu braucht, um die französische Dominanz über die EU zu halten und bei unpopulären Maßnahmen einen Sündenbock zu haben. Die Rollen zwischen internationaler Führungsmacht und Hilfstruppe sind in dieser Partnerschaft mittlerweile klar verteilt. Seien wir nicht allzu traurig darüber, niemand, als Sarkozy, ist zur Zeit noch der wirkliche Garant gegen die EU-Mitgliedschaft der Türkei.
Der Westerwelle ist richtig kreativ. Es wäre sogar ein echter Widerspruch zu Hermann Gröhe, wäre sein Statement ernstzunehmen. Weil es das natürlich nicht ist, hat dies keiner bemerkt. Der gute Guido will gleich neue Weltallianzen schmieden, mit den bedeutenden Ländern anderer Kontinente. Ein klassisches Indiz ist diese Äußerung dafür, warum mein Kanzler Recht hat, wenn er sagt, dass niemand mehr wisse, wo Deutschland heute eigentlich stehe und wo es hin wolle. Und wie grandios diese Allianzen sind, zeigt sich dann, wenn selbst in einem afrikanischen Land wie Angola die Kanzlerin sich peinlich beim Versuch, Patrouillenboote zu verkaufen, die Nase stößt. In Bosnien wird der Entwicklungshilfeminister nicht mehr zur Kenntnis genommen, nicht einmal von der eigenen Botschaft und ein überflüssiger Besuch Serbiens endet im offenen Widerspruch. Der Minister selbst, der Deutschland in der Libyenfrage schon ins völlige Abseits gebracht hat, glänzt dann mit einer Pressekonferenz nach dem Fall von Tripolis, die in ihrer Erbärmlichkeit als ein Tiefpunkt deutscher Politik in die Geschichte einzugehen droht.
Es gibt noch mehr Punkte und noch mehr Antworten, es sollten nur diese herausgegriffen werden, sonst wird es langweilig. Euro und Europa sind sicher ein eigenes Thema, doch so viel sei auch dazu gesagt. Man muss nicht die Leidenschaft Helmut Kohls für Europa teilen, um ihm auch in dem Punkt zuzustimmen, dass Deutschland als Hauptzahler wenigstens Entschlossenheit und Handlungsfähigkeit hätte demonstrieren müssen, welche Meinung man auch immer zur Eurostützung einnimmt. Auch hier hat vor allem das Lavieren zwischen den Begehrlichkeiten anderer Staaten und der Stimmung der Bevölkerung dazu geführt, dass das Heft des Handelns in dieser ökonomischen Schicksalsfrage der Regierung zunehmend entgleitet.
Man mache sich keine Illusionen, der Zwischenruf Helmut Kohls bedeutet nicht den Anfang vom Ende der Merkelregierung. Man darf sich das nicht einmal wünschen, denn die CDU verfügt zur Zeit über keinerlei im Lande mehrheitsfähige personelle Alternativen, weder unter dem aktuellen, noch unter dem desertierten Führungspersonal. Aber zusammen mit dem zunehmenden Aufbegehren innerhalb der Partei, ist es vielleicht der Anfang der bitter nötigen Diskussionen in Richtung Veränderung.
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