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Waldemars Altarchiv

Herr Friedrich und das Pseudonym – oder wie man Piraten backt

Sofern es sich um die eigenen Altvorderen handelt, ist es ein schmerzlicher Prozess, wenn mitzuerleben ist, wie manchen Menschen jeder Sinn für das Erkennen von Zusammenhängen fehlt.

Zur entsetzten Überraschung aller anderen, gelang es in Berlin einem merkwürdigen Haufen namens Piratenpartei mit fast 9% in das Abgeordnetenhaus einzuziehen. Eine buntgemischte, nicht ernstzunehmende Programmatik stellte man fest und schüttelte voll Verachtung den Kopf über die Dummheit des Wählers, besonders dann, wenn man selbst auf eine gescheiterte Splittergruppierung gesetzt hatte. Die CDU traf es ja nicht so, sie feierte lieber den denkwürdigen Sieg, von 21% auf 23% gelangt zu sein. Sieg oder Niederlage ist eben immer eine Frage der Perspektive und der eigenen Ansprüche.

Die Sache mit dem Piratenprogramm ist sicher nicht ganz falsch, zumindest außerhalb von Fragen, die sich aus der Entwicklung des Internets ergeben. Es ist mühsam Zusammengestoppeltes, das mit der Haschlegalisierung noch einen kleinen Aufreger hat, im wesentlichen aber nur begrenzt ernst gemeint ist, unrealistisch und letztlich unpolitisch. Sich aber darüber zu echauffieren, dass sie dennoch ein solches Ergebnis bekamen und die Wähler zu beschimpfen, drückt nicht weniger politische Blindheit aus. Nachdem die Piraten nun auch in bundespolitischen Umfragen brandaktuell mit 7% firmieren (und wenn davon auszugehen ist, dass die überwältigende Mehrheit ihrer Sympathisanten unter 35 ist, sollte man einmal das Ergebnis in dieser Altersgruppe hochrechnen), könnte es doch vielleicht einen gewissen Reiz haben, sich ernsthaft mit dem „warum“ auseinander zu setzen. Da die Politik sich zur Zeit ja davon weg bewegt, eigenständig zu denken und sich zu viel Verantwortung für das eigene Handeln aufzuladen, läge es nahe, eine Expertenkommission einzusetzen, tunlichst gesetzteren Alters und unbedingt ohne Beteiligung von Betroffenen. Man könnte allerdings auch spaßeshalber sich mit Äußerungen aus der Politik seit der Berliner Wahl befassen, die vordergründig nichts mit der Piratenfrage zu tun haben und einen dennoch auf die Spur bringen könnten.

Da ist Herr Friedrich, seines Zeichens Innenminister und eigentlich gar kein schlechter. Dem hat es aber nun, wie sonst nur so vielen Linken, Anders Breivig angetan, der norwegische Mordschütze, weshalb er nicht von ihm lassen kann, auch wenn die Wer-hat-schuld-am-bösen-Breivig-Diskussion inzwischen längst hoch oben auf der Outliste angelangt ist. Internetblogger unter Pseudonymen hatte der gelesen, und hätte er das nicht, oder wenigstens die ihre richtigen Namen benutzt, hätte Breivig bestimmt mit seinen Düngemitteln nur Ökosalate gezüchtet. Also schließt der Friedrich messerscharf, verbieten wir die Pseudonyme und schon erschießt keiner mehr norwegische Jungsozialisten. Nun kann man das schulterzuckend als erste Reaktion auf ein schockierendes Verbrechen abtun, aber ein Minister ist ja konsequent, er arbeitet daran und noch Monate später, ausgerechnet in der Woche nach der Wahl in Berlin, kann man es dann wieder nachlesen. Wenn das aber so ist, besteht die Gefahr, dass sich Menschen ernsthaft mit seinen Vorstellungen auseinander setzen und zwar nicht nur die, die (ihre eigene Ahnungslosigkeit entlarvend) immer mitlachen, wenn ein mit Führung Betrauter das Bonmot bringt, er wisse selber ja nicht einmal, wie man einen Computer anschalte (aber er hätte ja seine Leute dafür), sondern auch die, die im Gegensatz zum Minister auch etwas von dem verstehen, was er da befördern will. Das Internet, als weltweiter Zusammenschluss von Netzen, ist ja prädestiniert dazu, Falschnamenblogger auf Servern im schönen Königreich Tonga nach deutschem Recht zu verfolgen oder möchte jemand wieder den Versuch unternehmen, Seiten und Server für Deutschland zu sperren, China lässt grüßen. Dann das nette Argument, dass man bei öffentlichen Publikationen nach dem Presserecht auch mit dem richtigen Namen schriebe, was so wundervoll Äpfel und Birnen vergleicht und beweist, nicht verstanden zu haben, was das Internet für seine Nutzer ist, ein interaktives Kommunikationsinstrument. Wenn ein Vergleich gezogen werden könnte, dann mit einer spontanen öffentlichen Diskussion einander unbekannter Partner, von denen nun auch keiner ein Namensschild trägt. Keiner würde das auch erwarten. In einem freiheitlichen System kann doch jeder seine Meinung äußern, ohne sich vorher vorstellen zu müssen. Wohlgemerkt, es geht Herrn Friedrich nicht um rechtswidrige Inhalte, bei denen reicht das herrschende Recht aus, über die IP sollt ihr sie erkennen, sondern um jede Form von Meinungsäußerung im Netz, auf das dann Arbeitgeber, Verwandte, Bekannte und vor allem Herr Friedrich immer alles wissen. Dabei ist es noch gar nicht lange her, da sah und hörte man auf allen Sendern den durchaus richtigen Rat, erklärt euren Kindern, nie mit echtem Namen ins Internet zu gehen. Näher soll sich an dieser Stelle inhaltlich mit diesem Vorstoß gar nicht befasst werden, es führte vom eigentlichen Thema ab, es lohnt sich in diesem Falle nicht einmal. Es sind zweierlei Dinge, die Menschen, die mit diesem Medium leben, dann aufbringen, die erschreckende Unkenntnis eines Innenministers über die Mechanismen mit denen das Netz genutzt wird und der unverhohlene Versuch, die Selbstzensur von Bloggern zu befördern. Es trifft mitten hinein in die Lebenswelt nicht nur des Gros der jüngeren Generation, für die das Internet ein Teil von Leben und Kommunikation ist, durch einen Politiker, der gleichzeitig damit zu verstehen gibt, dass ihm diese Lebenswelt völlig fremd ist. Freuen tun sich nur die Zuckerbergs und Googlenerds, in deren Weltherrschaftsfantasien sich alle mit richtigem Namen ihren Systemen unterzuordnen zu haben. Der Rest wendet sich bestensfalls resigniert oder verständnislos ab.

Aber es kommt ja noch besser. Da gibt es den CDU-Abgeordneten Siegfried Kauder, Rechtspolitiker, nebenbei aber Präsident der Bundesvereinigung Deutscher Musikverbände. Und dieser Mann, man kann es kaum glauben, befasst sich ungeniert als Lobbyist in seiner politischen Funktion mit Änderungen des Urheberrechts gegen Filesharer zum Wohle seiner Musikindustrie. Jener Musikindustrie, die ein Jahrzehnt lang ganze technische Entwicklungen ignoriert hat und stattdessen fast ausschließlich zur computergestützten Produktion von Wegwerfmusik übergegangen war, um sich weiterhin goldene Nasen verdienen zu können. Selbiger Herr Kauder, unseligerweise auch noch namensgleich mit dem Fraktionsvorsitzenden, tritt öffentlich hervor, in dem er fordert, dass quasi seine Musikindustrie unabhängig von Strafverfahren verdächtige Musiktauscher mit Internetverbot belegen können soll und droht einen Gesetzentwurf an. Weil sich jeder so lächerlich macht, wie er kann, lässt er sich dann auch gleich dabei ertappen, zwei Bilder ohne Urheberrecht auf seiner Website zu haben. Es ist auch gleichgültig, wie seine Idee eigentlich im Zeitalter von Surfsticks und Prepaidkarten durchgesetzt werden sollte, es ist der Vorgang allein, der viele wütend macht.

Was wäre die Welt ohne Verbände und staatlich bezahlte Studien. Ein Fachverband Medienabhängigkeit kommentiert eine Studie zur Internetsucht, die hochbezahlte Forscher aus Lübeck und Greifswald erstellt haben und die die Drogenbeauftragte der Bundesregierung tatsächlich vorstellt, erfreulicher Weise gehört die einmal nicht zur CDU. Nun soll keinesfalls in Abrede gestellt werden, dass in Extremfällen bei Onlinespielern es zu suchtähnlichen Phänomenen gekommen sein mag, aber wenn man dann liest, es würde sich nach der Zeit bemessen, in der Menschen online sind, Jugendliche seien in zweistellligen Prozentzahlen Gefährdete und vor allem Mädchen seien für die „Bestätigungen sozialer Netzwerke empfänglich“, dann lernt man in erster Linie etwas über völlige Verständnislosigkeit, mit der Entscheidungsträger älterer Generationen der Lebenswirklichkeit und den Kommunikationsformen der jüngeren gegenüberstehen. Und etwas über eine unerträgliche Arroganz, die eigene Lebensart für “richtig” und die der anderen für “krank” zu erklären. Im übrigen sei nur die Bemerkung gemacht, wer schreibt, „die Folgen der Sucht ähneln denen einer Alkohol- oder Drogenabhängigkeit“, selbst wenn er den traurigsten Fall eines Onlinespielesüchtigen, der Job und Umfeld verloren hat und verwahrlost in Wohnung lebt (falls es dieses Klischee außerhalb der Presse gibt) zugrunde legt, der hat nie die Zersetzung von Körper und Geist bei einem Abhängigen harter Drogen oder Schwerstalkoholiker erlebt.

Weder Herr Friedrich, noch Herr Kauder oder die Drogenbeauftragte werden einen Zusammenhang ihres Handelns mit dem Aufstieg der Piratenpartei sehen. Aber (nicht nur) junge Menschen, für die das Internet mehr als ein Lexikon ist, die damit kommunizieren, leben, sich darstellen, handeln, die nehmen auf diese Weise Politik als etwas wahr, was ihnen fremd ist und sie nicht nur nicht vertritt, sondern gegen sie und ihre Interessen vorgeht. Und, was das härteste ist, sie sehen Politik und ihre Vertreter als Gruppe von Menschen, die nicht einmal ihre Lebensform versteht. Das ist das eigentlich Trostlose daran. Man mag ja verschiedene Ansichten über den Herrn von Boetticher haben, aber sichtbar war in den Netzwerken, wie viele Jüngere sich mit ihm solidarisierten und seinen Abgang als Intrige von Altpolitikern sahen. Verständlich, denn der hatte mal Facebook so verwendet, wie sie es auch tun, als sein Kommunikationsinstrument. Als seine Parteifreunde über ihn vorher schon herfielen, weil er das Erlebnis einer Mondfinsternis irgendeiner trostlosen Sitzung vorzog und das auch noch postete, traf er den Nerv einer Generation ebenso, wie er völlige Verständnislosigkeit von Mitgliedern und Funktionärskollegen hervorrief. Es stehen offenbar Welten dazwischen.

Ein Armutszeugnis ausgerechnet für die CDU. Die Wiedervereinigung überdeckt leider für viele die eigentliche revolutionäre, Zukunft bestimmende Hinterlassenschaft der Kohlära für Deutschland: Die Freigabe der Telekommunikation, die Privatisierung der Bundespost und die Zulassung privaten Rundfunks- und Fernsehens! 1982 war das Wählscheibentelefon Standard. Die heutige Medienwelt und Internetkommunikation ist damit erst ermöglicht worden. Internet 2011 unter der Ägide der Bundespost nach Jahrzehnten Herrschaft von Rot-Grün, wäre der Modemanschluss mit horrenden Kosten, wenn man sich das überhaupt vorstellen kann. Die CDU war einmal die Partei dieser medialen Welt und muss sich heute sagen lassen, dass ihre führende Repräsentanten den Zugang zur Welt der Nutzer dieser Medien verloren haben. Kann es wirklich wundern, dass die Generation Internet sich eben nicht nur von der heutigen Politik abwendet, sondern den in einer Demokratie logischen Schritt geht, sich ihre eigene Partei zu schaffen und zu wählen? Es bringt nichts, sie dafür zu beschimpfen und die gewaltigen Politikdefizite der Piraten bloß zu legen. Die Antwort kann nur sein, die Welt der Internetgeneration zu akzeptieren und sich in ihr zu bewegen. Eine schicke Website, von einer Agentur kreiert und einem Hiwi bedient, reicht da nicht aus.

Es steht zu befürchten, dass das lange dauern wird. Vielleicht endlich einmal eine Chance für die Junge Union, immerhin leben ihre Mitglieder nicht anders als die jungen Piraten. Es den Parteioberen verständlich zu machen, scheint Titanenarbeit, die meisten dürften schon bei ihren eigenen Eltern damit scheitern.

Über Waldemar Alexander Pabst

Undogmatischen Konservativer. Nazifeind, Antikommunist, entschiedener Gegner jedes religiösen Totalitarismus, Rassismus und nicht zuletzt der Verschwörungstheoretiker. Bekennender Israelfreund und das, was man einmal einen “Atlantiker” nannte. Vertritt uneingeschränkt das Gesellschaftssystem der freien Welt. Blog: https://schwarzoderweiss.wordpress.com/

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