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Waldemars Altarchiv

It’s einerlei, we occupy

Herbst in Hamburgs Innenstadt. Die Shoppinggegend zwischen Spitaler Strasse, Landesbankgalerie und Karstadt, Gerhart-Hauptmann-Platz genannt. Schweift der Blick des Konsumgierigen ganz kurz zur Seite, kommt es zu einer erstaunlichen Entdeckung: Ein paar wilde Ein-Mann-Zelte in der Ecke vor dem Thalia Theater mit einer Handvoll vermummelter Figuren, die auf Papierrollen kritzeln. Spannend, denkt der Beobachter, sollten Obdachlose für den nahen Winter eine kleine Siedlung errichtet bekommen haben, vor der sie bunte Bilder malen, die sie dem potentiellen Vorweihnachtskäufer verkaufen und sich so zum Unternehmer wandeln? Die Idee wäre ganz pfiffig, wenn auch auf den ersten Blick in etwas irrtierender Location. Da aber Hamburg dank eines plötzlichen Selbstvernichtungsanfalls der Christdemokraten SPD regiert ist und Sozen nach Gottes unerforschlichem Ratschluss stets frei von kreativen Ideen sind, kann es das einfach nicht sein. Der zweite Blick lässt das Blut in den Adern gefrieren: Occupy lagert dort, die geballten 99% des Volkes, der Kern der neuen Revolution; das Camp gewissermaßen der Panzerkreuzer Potemkin des Plastikzeitalters. 200 okkupierte Quadratmeter, natürlich mit behördlicher Genehmigung, wodurch das berüchtigte Bonmot des Massenmörders Lenin, deutsche Revolutionäre würden sich vor einer Bahnhofserstürmung erst eine Bahnsteigkarte kaufen, nach mehr als 90 Jahren seine reale Umsetzung erfuhr.

Occupy, die Möchtegernmassenbewegung des Herbstes, ist so eine Art selbsternannte deutsche Facebookvariante des arabischen Frühlings mit amerikanischen Vorfahren. Gemeinsam mit den Araberrevolten ist, dass alle es toll finden und keiner weiß, wofür konkret es steht, was das toll finden durchaus angenehm vereinfacht, weil die allzu heftige Auseinandersetzung mit Inhalten immer die Gefahr in sich birgt, Dinge zu entdecken, die man gar nicht wissen will. Im Gegensatz zu den Arabern, die ihre Herrscher manchmal auch fürs Handyvideo ganz real schlachten, spielt sich das im heimischen Oktober denn doch mehr virtuell ab, was natürlich nicht hindert auch über ein paar Hundert verstreute Occupies am Berliner Samstag Nachmittag atemlos zu berichten. Sie sind ja so in und so beseelt vom Retten der Welt, dass einfach die 99% zumindest im Geiste alle dabei zu sein haben, und wenn nicht, werden sie halt dazu geschrieben. Wo es für die gute Sache ist.

Wenn man denn nur wüsste, für welche. Am einfachsten wäre es ja, es wäre dadurch ergründbar, dass man ihnen zuhörte. Es gibt ja durchaus genügend öffentlich-rechtliche Sabbelshows, in denen sie sich verbreiten können. Zum Beispiel Maybritt Illner vom 27.10., wo dies Mädel mit dem Schlafzimmerblick den Weltrekord im sinnfreien Massenverwenden des Wortes Kommunikation aufzustellen versucht, während ihr etwas wortgewandterer Kumpel immerhin erklärt, dass die Banken böse sind, das jetzige Finanzsystem absurd, die Politik heuchlerisch, weil die Reichstagswiese nicht zum Demonstrieren frei ist (man hätte ja nun auch wirklich das Bannmeilengesetz dafür kurz ändern können) und alles überhaupt anders werden muss und vor allem gerechter und transparent, weshalb in Arbeitsgruppen und Internetforen daran gearbeitet wird. Brillant auch diese Facebooknotiz von der Occupy Seite mit dem Hoffnung weckenden Titel „Was wir wollen“, eine wirklich empfehlenswerte Lektüre mit dem erschlagenden Fazit: „Deshalb gibt es von uns keine mediengerechten Statements. Wir sind viele. Wir haben viele Fragen. Und viele Antworten.“ Leider endet der Text hier und verschweigt gemeinerweise die Antworten. So richtig weiter ist man wieder nicht. Dass die Leichenbittermienen von Verdi und Claudia Roth nicht fehlen dürfen, ist schon klar, aber die sind ja nicht neu.

„Kapitalismus ein Problem seid 1850“, steht auf einem Schild zwischen den eingangs erwähnten Plastikzelten. Da kommt man der Sache doch vielleicht schon näher. Der finstere Kapitalismus als solcher, der sich aber dafür, dass er ein Problem ist, doch schon recht lange hält, ist zu überwinden, damit alles gut und gerecht werde. Nicht, dass es in den letzten 160 Jahren verabsäumt worden wäre, dieses menschenverachtende krisengeschüttelte System endlich abzuschaffen. Gerade bei der weltumspannenden Bankenkrise von 1929, die Millionen ins Elend stürzte, als die Spekulationsblase platzte, zeigten sich die hervorragenden Möglichkeiten alternativer Lösungsansätze. Das mittlerweile kapitalistenbefreite Sowjetsystem war gar nicht erst betroffen, gut, die Nahrungsmittel wurden knapp, aber durch Erntebeschlagnahme konnten die gesellschaftlich nützlichen Kräfte genährt werden und gleichzeitiges millionenfaches Verhungern ukrainischer Bauern reduzierte die zukünftige Zahl der Verbraucher, perfekt und simpel gelöst. Und dann war da noch der, der einfach auch nach heutigen Gesichtspunkten unvorstellbare Staatsschulden auf Wechsel finanzierte, davon mächtig aufrüstete, das ganze begeisterte Volk (nein, Menschenmassen können nicht irren) so wieder in Lohn und Brot brachte und das Einlösen der Wechsel aus den Staatsschätzen der Nachbarstaaten und dem Privatvermögen zu ermordender Juden zu begleichen dachte, wofür wiederum die Aufrüstung nutzbringend war. Auch ein in sich logisches und schlichtes Win-Win-System *), es ging nur schief, weil die Nachbarstaaten eher unerfreut reagierten und er sich ein wenig militärisch übernommen hatte. Am Ende waren in beiden Systemen und dem Rest Europas Millionen von Menschen tot und der zähe Problemfall Kapitalismus doch wieder an der Reihe, es zu richten.

So ganz einfach sind die funktionierenden Alternativen in der Bekämpfung von Finanzkrisen also doch nicht zu bekommen, vor allem, wenn sich bei Occupy noch die Ewiggestrigen der Linken einfinden, nicht nur die in Schwarz, die eh auf jeden Zug aufspringen, der Action bringt und darum auch gern mal zelten, sondern auch die, die sich heute „Die Linke“ nennen, und die, als sie noch SED hießen, ein ganzes Land 40 Jahre als Experimentierfeld hatten, wo sie ohne jeden geldgeilen Privatbanker und Privatkapital nach Herzenslust alles umsetzen konnten, was die Menschheit hätte beglücken können und (neben Unterdrückung, Mauer und Mord) eine so beispiellos grandiose Staatspleite hinlegten, dass auch 22 Jahre danach der Bundesbürger dafür zahlt. Genau die richtigen, um Occupy zu gesellschaftlichen Alternativmodellen zu verhelfen. Nicht zu vergessen die esoterischen Verschwörungstheoretiker aller Art, bei denen die ganze Welt von Amerikanern und Israelis (in Deutschland ist man noch vorsichtig, Juden zu sagen, wenn man Juden meint) per Handystrahlen manipuliert wird und die bei Occupy ihre umklatschten Reden halten dürfen. Eine Bewegung zwischen nebulösem Gutmenschentum, Wahnvorstellungen und Wiederbelebungsversuchen untergegangener marxistischer Denkmuster ohne jede realistische konkrete Forderung oder auch nur Idee, wie ein neues funktionsfähiges Finanzsystem denn aussehen sollte. Das jedenfalls ist Occupy, wenn man, statt gerührt die berechtigten Anliegen zu feiern, den Protagonisten zuhört oder gar mitliest, wenn sie formulieren.

Dieser ganze Unfug allerdings wäre wesentlich unbeschwerter zu genießen, wenn er sich nicht vor dem Hintergrund einer sehr realen und beängstigenden Währungs- und Finanzkrise, vor allem, aber nicht nur in Europa, abspielen würde. Genauer gesagt handelt es sich um die zweite Finanzkrise innerhalb von drei Jahren, die aber im Gegensatz zur ersten ganz andere Ursachen hat. Niemand kann das Bankensystem aus seiner Verantwortung für das, was 2008 geschah, entlassen. Es bleibt unbestritten, dass Banker Börsen in Casinos verwandelt hatten, dass Bonussysteme zu grotesken Einkommen führten, dass Kreditvergaben auf dem amerikanischen Hypothekenmarkt absurde Vorgaben hatten und dass deutsche Banken kräftig mitgespielt haben. Dass dies Hass und Wut auslösen kann, ist menschlich, dass es gesetzliche Konsequenzen haben muss, notwendig, doch auch die Einsicht sollte wachsen, dass nicht die Banker allein Schuld waren, sondern amerikanische Gesetzgebungen seit Jahrzehnten, die den Finanzmarkt nahezu unreguliert ließen, das Desaster erst ermöglicht haben. Die amerikanische Occupy Bewegung, die auch eine Gegenbewegung zu Teaparty und ähnlichen Sekten ist, die offenbar noch immer nicht gerafft haben, welche Mitverantwortung sie tragen, ist daher verständlich, wenn auch seltsamer Weise drei Jahre zu spät und zelten ersetzt auch nicht das Abwägen zwischen notwendigen Regulierungen und Funktionieren der Marktmechanismen. Sich über die Ungerechtigkeit zu echauffieren, dass Steuergelder die Banken retteten, während Teile der Bevölkerung darben und in der dritten Welt die Menschen hungern, zeigt allerdings die indiskutable Ahnungslosigkeit, mit der Kritiker vorgehen. Die Lehre von 1929 bestand darin, dass Zusammenbrüche von Banken den Worst-Case darstellen, der alles in den Abgrund zieht. Und hätte man es nicht schon vorher gewusst, wies Lehmann einen noch einmal kräftig darauf hin. Verteilungsgerechtigkeit war da nicht so das Thema, ein Zusammenbruch der Weltwirtschaft wäre weder im Sinne der heimischen Armen noch der dritten Welt gewesen. Der Umgang mit 2008 hatte eher etwas von Notfallchirurgie, die ist auch nicht wirklich fair, sondern rettet eben nur unter Zeitdruck genau das, was rettbar ist und da sich das Leben in Deutschland seither nicht sonderlich geändert hat, war es ein unglaublicher Erfolg der Regierung, der nicht hoch genug einzuschätzen ist. Das alles scheint aber an den Occupies seinerzeit relativ unbemerkt vorüber gegangen zu sein.

Die nämlich lagern erst jetzt in Facebook und den Innenstädten, inmitten der zweiten Krise, beschimpfen wie geschildert Banken und System, als hätte man heute nicht ganz andere Problemlagen. Und so wenig Liebe zu Banken und Bankern man empfinden mag, diese Probleme sind nicht in ihrer Verantwortung entstanden. Hochverschuldete Eurostaaten, von denen mindestens Griechenland sich wohl mit verschleierten Zahlen schon den Zugang zum Euro erschlichen hatte, stehen am Rand des Zusammenbruches und drohen die ganze Währung samt aller Staaten, die sie haben, mitzureißen. Die Banken sind insoweit involviert, als sie Kredite gaben und ein eventueller Ausfall wiederum die Existenz der einen oder anderen von ihnen in Frage stellen könnte, mit den bekannten Folgewirkungen und notwendigen, schwer vorhersehbare Geldmengen verschlingenden Rettungsmechanismen. Lustig allenfalls Griechen und Gutmenschen, die die Verantwortung den Banken zuzuschieben versuchen, weil die ja die Kredite gegeben hätten. Nun saß da aber nicht Oma Meier dem netten jungen Mann von der Sparkasse gegenüber, der ihr zum Wohle seines Provisionskontos Lehmannpapiere aufschwatzte, sondern Staatsführer Bankern auf Augenhöhe, von denen man gemeinhin erwartet, dass sie wissen, was sie tun. So blauäugig kann man gar nicht sein, darüber Tränen zu vergießen. Eine völlig unkompliziert nachvollziehbar entstandene Problemlage (die allerdings bei Occupy nirgends vorkommt) ohne dass es bedrohlicher Weise hierzu irgendwelche erprobten Antworten gäbe. Die richtige Methode, diese Krise zu meistern, werden Wirtschaftswissenschaftler in ein paar Jahrzehnten kennen, wenn sie auf das, was jetzt und in der nahen Zukunft passiert, zurückblicken und analysieren. Heute hingegen kann niemand im Voraus sagen, ob das moralisch ungerechtfertigte Retten von Europartnern das einzig Mögliche ist, den eigenen Crash zu vermeiden oder ob es im Gegenteil die letzten Finanzmittel frisst, die man noch brauchen würde, wenn es an die eigene Rettung ginge. Auch Occupies Arbeitsgruppen und Internetforen werden das wohl nicht wirklich lösen, zumal es gar nicht ihr Thema ist, denn hier geht es leider nicht um eindimensionale Lösungen, die man sich transparent in Foren erpostet, sondern um ein hoch kompliziertes Tappen im Dunklen mit unerträglicher Verantwortung. Dann doch lieber Campingdörfer gegen die Finanzwirtschaft, einerlei, ob es dabei um das zur Zeit wirkliche Problem geht. Hauptsache, man handelt und sonnt sich in der Überzeugung zu den Guten zu gehören. Und vor allem zur Mehrheit.

So richtig furchtbar daran ist aber das Verhalten eines Großteils der politischen Klasse, die ihr Verständnis für die Proteste heuchelt und damit glaubt, elegant ihre alleinige politische Verantwortung für die europäische Krise auf die Finanzwirtschaft abschieben zu können. Es fördert eine beängstigende Verzweiflung der Entscheidungsträger ausgerechnet in jenem Moment zu Tage, wo sie wie selten zuvor gefragt sind.

Das ist wirklich arm. Zu dieser Art von 99% zu gehören, kann das Ziel nicht sein.

Also, let’s be the 1%. Wenn schon nicht mit dem Geldbeutel, dann wenigstens im Geiste.

 

*) Wen diese sehr spezielle Variante von Lösung der Weltwirtschaftskrise und einer auf „Wohlstand für alle Volksgenossen“ basierenden, die Menschen zu Komplizen machenden korrumpierenden Sozialpolitik näher interessiert, dem sei „Hitlers Volksstaat“ von Götz Ali empfohlen.

Über Waldemar Alexander Pabst

Undogmatischen Konservativer. Nazifeind, Antikommunist, entschiedener Gegner jedes religiösen Totalitarismus, Rassismus und nicht zuletzt der Verschwörungstheoretiker. Bekennender Israelfreund und das, was man einmal einen “Atlantiker” nannte. Vertritt uneingeschränkt das Gesellschaftssystem der freien Welt. Blog: https://schwarzoderweiss.wordpress.com/

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