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Waldemar

Wo „nie wieder“ anfängt

Vor 80 Jahren wurde Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt, was auf allen Kanälen samt Feierstunde im Bundestag Erwähnung fand. Machtergreifung lautet der populärwissenschaftliche Begriff dafür und er ist entgegen vieler Diskussionen ausgesprochen treffend. Allerdings nicht, was den Vorgang, der sich gerade jährte betrifft, sondern er beschreibt die dem folgenden Monate. Am 30. Januar 1933 wurde die Demokratie in Deutschland nicht abgeschafft. Am 30. Januar 1933 ernannte lediglich der senile Reichspräsident den Führer einer radikal demokratiefeindlichen Massenpartei zum Reichskanzler, während er selber die Fäden der Macht in den Händen behielt und im Kabinett jene eine klare Mehrheit hatten, die den neuen Kanzler verachteten und meinten, ihn in die Ecke drücken zu können, bis er quietscht. Ein halbes Jahr später waren die Parlamente abgeschafft, Parteien wie Gewerkschaften verboten, Gegner wurden gefoltert, erschlagen, in KZ’s gequält und alle Lebensbereiche waren das, was die Nazis gleichgeschaltet nannten, Deutschland eine Diktatur, sein Leitbild die Unmenschlichkeit, die völkische Rassenlehre. Mit einer Mischung aus sofort handelnder Entschlossenheit, Bereitschaft zum jederzeitigen Rechtsbruch und im Wortsinne mörderischer Gewalt. Ohne Revolution, ohne Bürgerkrieg, ja ohne jegliche ernsthafte Gegenwehr.

Ein Vorgang, der dann nicht unbegreiflich ist, wenn man sich mit dem Verhältnis der Deutschen zu ihrer ersten Demokratie befasst. Exemplarisch dafür, auf welche Schwäche der Wille zur Errichtung des Unrechts treffen muss, um erfolgreich zu sein. Natürlich trifft es als erstes die alten Eliten, die Konservativen, die gesamte Rechte, die mit vagen ständestaatlichen Vorstellungen ihrem Kaiser hinterher trauerten und keinen Bezug zur demokratischen Republik gewinnen wollten. Hatte das Bündnis von Sozialdemokratie und Militär im Kampf gegen die rote Revolution noch Hoffnungsschimmer zu wecken vermocht, daraus etwas Gemeinsames entstehen zu lassen, zeigten sie beim Kapp-Putsch, dass sie sich mit Parlamentarismus und Demokratie nicht abzufinden vermochten und prägten durch diese Haltung die Stimmung in Militär, Verwaltung und Wirtschaftsführung, machten Republik und Republikaner fortan verächtlich, akzeptierten hemmungslos die Nationalsozialisten als Bündnispartner. Als sie aber endlich mit denen die Regierung bildeten, hatten sie ihnen außer Arroganz  keine gesellschaftliche Konzeption entgegen zu setzen, wie Puppen schob die Dynamik der Nazibewegung sie beiseite, erst staunend, dann mit wenigen Ausnahmen karrieregeil, machten sie sich mit den neuen Herren gemein, die sie eben noch benutzen und entzaubern wollten. Die Kommunisten auf der anderen Seite, von Moskau geführt, wurden Opfer ihrer aus der kruden Ideologie entstammenden unsinnigen Faschismustheorie, fast analog zur Rechten sahen sie in den Nazis gleichfalls keine eigene politische Weltanschauung des abgrundtief Bösen, sondern nur die letzte Phase des Kapitalismus, die man einfach durchhalten müsse, um umso sicherer zur Revolution zu kommen, bekämpften weiterhin die Republik und deren letzte Exponenten, bis sie diese neben sich auf den KZ-Pritschen wieder trafen.

Die Parteien der Republik aber unterwarfen sich oder kapitulierten wehrlos. Ihnen fehlte der Glaube, dass die Menschen im Lande die parlamentarische Demokratie als Errungenschaft und wertvolles politisches Gut zu erkennen vermochten und zu ihrem Schutze aufzustehen bereit wären. Parteien galten längst als verachtenswert, der durch die negative Mehrheit der Antidemokraten lahmgelegte Reichstag als Schwatzbude, Freiheitsrechte den nach der Weltwirtschaftskrise verarmten Menschen in ihrer Mehrheit längst nicht so viel, wie das Versprechen neuen Wohlstands und Weltgeltung. Die bürgerlichen Parteien, vielfach bereits brutal eingeschüchtert, beteiligten sich schließlich durch Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz an der Abschaffung der Demokratie und damit an ihrer eigenen Auflösung, in der Hoffnung, dass es für sie dann weniger schlimm käme. Die Sozialdemokraten hatten ihre letzte tapfere Sternstunde im Parlament, ohne freilich mehr als eine Minderheitsstimme dagegen setzen zu können. Das Reichsbanner, die Schutztruppe der Republik, die Gewerkschaften, alle blieben voller nur zu berechtigter Angst daheim und warteten auf ihr Verbot. Natürlich gab es Mutige, die anders handelten, sie blieben eben nur Einzelfälle, die den Verlauf nicht einmal verzögern konnten.

Beliebt ist es heute, bei jeder Gelegenheit wohlfeil „Nie wieder Nazismus“ zu rufen. Wohlfeil, weil dazu nicht viel gehört. Keine Nazipartei, so widerlich, ja terroristisch heutige Nazis sind, kein neuer Hitler bedroht ernsthaft den freiheitlichen Staat. Derart singulär die Größenordnung der Naziverbrechen, dass jeder Vergleich mit aktuellem Geschehen einer Verharmlosung gleich käme. Geschichte wiederholt sich nicht 1:1. Gefahren lauern, wo sie nicht auf den ersten Blick zu sehen sind. Parallelen entstehen, wo die Betroffenen empört jedwede Situationsanalogie zurückweisen würden.

Sind wir uns sicher, dass unser heutiges Gesellschaftssystem selbstverständlich für die Ewigkeit Bestand hat? Würden die Menschen aufstehen und es, wenn nötig, mit der Waffe in der Hand gegen Feinde verteidigen? Das nämlich wäre im Falle Hitler in letzter Konsequenz notwendig gewesen. Seien wir ehrlich, der meisten Deutschen pazifistische Herzen erschrecken schon bei dieser Formulierung gar fürchterlich. Frieden als Selbstzweck steht bei ihnen schon lange vor der Freiheit. Welches Image haben politische Parteien im Land? Wer bekennt sich stolz zu ihnen, Mandate wahrzunehmen und seine Zeit zu opfern, auf lokalen Ebenen sich mit den kommunalen Alltagsproblemen herum zu schlagen? Selbst sonst kluge Köpfe nutzen sie heute nur, sich selber durch herabwürdigenden Spott über sie und jene, die sich da betätigen, zu erheben. Politiker sind nicht engagierte Nachbarn, sondern im Vorurteil eine anonym auf den eigenen Vorteil bedachte Kaste, die nur Schaden anrichtet. Und falls es doch der Nachbar ist, belächelt man ihn milde. Unbestritten, dass die Parteien daran nicht unschuldig sind. Wo innerparteiliche Diskussionen unerwünscht werden, das Führungspersonal eine Anpassungssozialisation von der Jugendorganisation bis zum Bundestag hinter sich hat, ist es nicht verwunderlich, wenn am Ende nur austauschbar wirkende Worthülsenverbreiter im Fernsehen zu sehen sind. Dass sie in Wahrheit die stabile Grundlage der Demokratie sind, strahlen sie so wenig aus, wie die Medien es nicht darstellen und der Bürger es nicht sehen will. Stattdessen bekommt die substanzlose Dummheit ihren Hype und mit den Piraten fast 10% der Stimmen, bis sie es übertreiben. Aber alle fanden es anfangs cool. Vom guten Feeling, sich offen zur Politikferne zu bekennen und als Nichtwähler für den Besseren zu halten, ganz zu schweigen.

Politik ist nur schick, wenn sie außerhalb der Strukturen stattfindet und darauf gerichtet ist, anderen die eigenen Überzeugungen auch dann aufzuzwingen, wenn diese durch Wahlen und Abstimmungen Gegenteiliges deutlich gemacht haben. Rechtsbruch wird zur Widerstandshandlung hochstilisiert und von der Journaillenwelt abgefeiert. Ob es um Bahnhofsneubauten oder Castortransporte geht. Man feiert sich für einen quasireligiösen. sektiererischen Lebensstil, den man im nächsten Schritt allgemeinverpflichtend einführen möchte, was mit diesem albernen Wort Nachhaltigkeit begründet wird. Nicht Freiheit und Demokratie haben Wert, sondern die eigene subjektive Überzeugung, die man zur absoluten Wahrheit stilisiert. Der demokratische Staat ist bei vielen längst wieder mit dem Nazibegriff System belegt, dem man sich verweigert. Das endet bei Klimafanatikern, die ohne lauten Aufschrei in vollem Ernst wahlweise Weltdiktator werden wollen oder Andersdenkende hinrichten. Dass jene die sacrosancte EU-Bürokratie, für die Parlamentarismus nur Hinderlichkeit ist, vorbildlich finden, ist bezeichnend für die schleichende Entdemokratisierung von oben, die mit dem Euphemismus „mehr Europa“ gepriesen wird.

Der größte innere Feind der Freiheit aber ist der Werterelativismus, der in sich für intellektuell haltenden Kreisen schon im Kalten Krieg Mode war. Unter dem Deckmantel kultureller Vielfalt werden fanatische Gottesstaatsentwürfe, brutale Diktaturen, sogar Judenhass und Mord, sofern nahöstlicher Herkunft, nicht nur gesellschaftsfähig, sondern auf eine Ebene mit der freien Welt gestellt, mindestens, denn nicht wenige preisen das Unrecht als die bessere Alternative. „Die Chinesen halten gar nichts von unserer Streitkultur. Sie schätzen die Harmonie. Und was wir als Menschenrechte ausgeben, ist für große Teile der Welt nichts als Herrschaftswerk westlicher Heuchelei.“ Das schrieb Jakob Augstein vor wenigen Tagen in einem ansonsten sinnfreien Aufsatz; nur das letzte Beispiel von Legionen solcher Wortmeldungen. Abgesehen vom Rassismus, der darin besteht, dass die Diktatur wohl die dem Chinesen angemessene Lebensform wäre, ist es die von vielen akzeptierte Koketterie mit der Anziehungskraft des Bösen, der Unterwerfung und Despotie, die sich allerdings am besten im marktwirtschaftlichen Wohlstand der westlichen Demokratie leben lässt. Letztere jedoch wird konsequent für nicht verteidigungswürdig, ja sogar absterbend erklärt. Ist unser Verhältnis zum Parlamentarismus wirklich wesentlich anders, als das unserer Vorfahren zu Beginn der 30er Jahre?

Das deutsche Volk hat sich nicht am 30.01.1933 spontan entschlossen, Europa zu unterwerfen, die Welt in Brand zu setzen und die Juden ausnahmslos zu ermorden. Es war nur in seiner Mehrheit gleichgültig bis ablehnend gegenüber den Werten von Freiheit und Demokratie, sah Diktatur und Unterdrückung der anderen als eine passable Möglichkeit zur Erfüllung der eigenen Wünsche. Doch war genau dies der erste Schritt auf dem Weg ins Grauen. „Nie wieder“ beginnt da, wo die demokratische parlamentarische Gesellschaft, der Rechtsstaat und die Grundrechte als das gesehen werden, was sie sind, bei allen Unzulänglichkeiten der größte Schatz, den wir haben, bei dem es peinlich genug ist, dass er mit Waffengewalt zu uns gebracht werden musste, der sich durch offensives Bekenntnis und Verteidigungsbereitschaft täglich neu verdient werden muss.

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Auch veröffentlicht bei cdu-politik.de und Brüh-im-Lichte.

Über Waldemar Alexander Pabst

Undogmatischen Konservativer. Nazifeind, Antikommunist, entschiedener Gegner jedes religiösen Totalitarismus, Rassismus und nicht zuletzt der Verschwörungstheoretiker. Bekennender Israelfreund und das, was man einmal einen “Atlantiker” nannte. Vertritt uneingeschränkt das Gesellschaftssystem der freien Welt. Blog: https://schwarzoderweiss.wordpress.com/

Diskussionen

Ein Gedanke zu “Wo „nie wieder“ anfängt

  1. zeilenweise ein Wunder. Man glaubt kaum, dass, was man liest, etwas gemein haben könnte mit dem Autor der vorhergehenden Berichte. Sicher hier und dort – aber wenn wir diese minimalen Ausbrüche weglassen, lese ich hier einen aufmerksamen und geschichtsbewussten Artikel, der seinen Höhepunkt hat in der feinen Beobachtung des Bürger an seinem Standort und mit Recht die Frage stellt, was jeder einzelne vor Ort tut und in wie weit Er sich wirklich für seine individuelle Freiheit bereit ist einzusetzen. Lesenswert. Und daran anknüpfen würde sich die Frage, wo die Grenze der Aufmerksamkeit wäre. Wo Aufmerksamkeit in Belästigung und Überwachung und in eine neues Elend führt, wo man es am wenigsten erwartet. An der Stelle sind dann wieder die Altlasten des Autors Thema. Gutes Stück!

    Verfasst von bruederchen | 1. Februar 2013, 12:05

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