Die Pogromnacht vom 9. November 1938 jährt sich zum 75. Mal. Deutschland gedenkt, in Berlin mit Erlebniswelt. Die Handvoll letzter lebender Zeitzeugen wird noch einmal befragt, diejenigen, die es sehen, können sich damit auseinandersetzen, wie mitten im Volk der Dichter und Denker staatlich organisiert Läden geplündert wurden, Synagogen angezündet, 30.000 Männer in die Konzentrationslager verschleppt und Hunderte Menschen erschlagen. Die Zäsur von der Entrechtung und Demütigung zur Verfolgung, Vertreibung und Ermordung.
2013 ist das Thema Antisemitismus in Deutschland keineswegs Geschichte. Sogar das öffentlich-rechtliche Fernsehen legte verdienstvoll den Finger in die Wunde. Unter dem Titel ‚Anhaltende Verstörung‘ schreibt die Jüdische Allgemeine: „Erinnerung an die Pogromnacht heißt auch, den Antisemitismus von heute ins Blickfeld zu nehmen“.
Als die Deutschen nach dem Krieg der Wahrheit nicht mehr entrinnen konnten, existierte der Antisemitismus in den Köpfen der Kriegsgeneration sicher weiter, aber das Handeln ihrer Mehrheit war anders. Bis in die 70er hinein gab es nicht nur Trauerbekundungen, sondern einen Konsens der überwältigenden Mehrheit der Gesellschaft, sich aus Schuld an die Seite der Überlebenden zu stellen, egal was sie von „diesen Juden“ halten mochte, das was geschehen war, verpflichtete zu einer, oftmals tätigen, proisraelischen Haltung in den Überlebenskriegen des jüdischen Staates. Das mag vielen fortschrittlichen Denkern als unappetitlicher Philosemitismus erschienen sein, ein Ablassgedanke vor dem eigenen Gewissen, aber es war vor allem schlichte, logische Konsequenz aus dem Vergangenen und bewog wohl auch viele Juden in diesem Land zu bleiben.
Der Bruch begann in den 70er Jahren, der Beginn der Symbolik und die Abkehr von der Solidarität. Die Trennung der Erinnerung an die Ermordeten von den Überlebenden und ihren Nachfahren. Je mehr das entstand, was sich heute Erinnerungskultur schimpft, je lauter die Ermordeten beweint wurden, desto weniger Rücksicht meinten viele auf die Lebenden nehmen zu müssen. Mit dem Wunsch nach Ruhe vor arabischem Terror, guten Geschäften mit den Golfstaaten, sicher fließendem Benzin, wurde Israel den deutschen Nachgeborenen lästig, die 68er in den Schlüsselpositionen hatten sich schon früh mit PLO Mördern gemein gemacht. Die Migration tat ihr übriges. Das Klima in Deutschland ist grundlegend anders geworden.
Das glauben sie nicht? Machen sie den Antisemitismustest. Sitzen sie in trauter Runde mit Freunden und Bekannten aus dem Bildungsbürgertum, werfen sie Stichtworte hinein. Zum Beispiel Zypern, dann berichten die vom letzten Urlaub oder russischen Geldwäschern, der Ostteil der Insel ist türkisch besetzt, achwas, oder Tibet, da meldet sich allenfalls die zweimal geschiedene Lehrerin Ende 40 und gibt ihre letzten Weisheitserleuchtungen des Dalai Lama zum Besten. Südsudan, Darfur? War das nicht irgendwo in Afrika, wo die Schwarzen hungern wegen Klima oder so? Nach kurzem Schulterzucken wird man sich gelangweilt neuen Themen zuwenden. Dann sagen sie Jude oder gleich Israel. Ihr Abend ist gelaufen. Sie werden durcheinanderschnattern, genau wissen, warum die Israelis alles falsch machen, die größte Gefahr für den Weltfrieden sind, Palästinenser unterdrücken, die Hamas sich nur gegen nichtvorhandene Besatzung und Siedlungen im Gazastreifen wehrt, die jüdische Lobby in Amerika das deckt und wetten, mindestens ein ‚Aber-Satz‘ wird fallen? „Ich bin bestimmt kein Antisemit, aber…“, „das mit dem Vergasen zur Nazizeit war eine schreckliche Sache, obwohl wir nichts dafür können, da waren wir ja noch nicht geboren, aber…“ und irgendeinen Juden, der das genauso sieht, kennt jeder. Das klingt wie Broder und ist Überspitzung? Versuchen sie es einfach mal ganz real in ihrem Bekanntenkreis. Rein virtuell unter Fremden lässt sich es jeden Tag in Dutzenden von Facebooksthreads nachlesen.
Findet das in der organisierten Erinnerung zur Pogromnacht Erwähnung? Natürlich nicht, denn es sind dieselben ganz normalen Deutschen, die diese zelebrieren. Antisemit ist immer nur der Nazi, aus „nie wieder“ wird „gegen Rechts„, was auch immer gemeint ist. Der Nazi ist praktisch, er ist der Antisemit schlechthin, er ist der Böse, auf den sich alle einvernehmlich einigen können, der verbale Kampf gegen ihn das Alibi, nicht selber Antisemit zu sein. Der Gipfel der Verlogenheit sind Reden, die nicht den muslimischen Antisemitismus, der von Buschkowsky peinlich geleugnet, ganze Viertel zu Nogo-Zonen für erkennbare Juden gemacht hat, geißeln, sondern Kritik am radikalen Islam in eine Linie mit der Judenverfolgung stellen und unter Hinweis auf die Pogromnacht ächten wollen. Deutsche Erinnerungskultur ist ein Gemischtwarenladen, der heute allem dienen darf, nur nicht der Beschäftigung mit dem real existierenden Antisemitismus und der Unterstützung der Nachfahren der Opfer der Shoa.
Echte Konsequenzen aus der Pogromnacht wären nicht die „sehr bewegende Großveranstaltungen“, sondern Sondersendungen des Fernsehens, dass auf dem ganzen Kontinent Juden im Aufbruch sind, dass die schwedische Stadt Malmö in nicht langer Zeit die erste judenreine Stadt Europas nach dem Krieg sein könnte, weil muslimische Mobs mit der Duldung der Stadtverwaltung der jüdischen Bevölkerung das Leben so schwer machen, dass man von Vertreibung sprechen kann, dass in Ungarn die Gespenster der Pfeilkreuzler Renaissance feiern, dass ein Frieden für Israel daran scheitert, dass alle Nachbarn es vernichten wollen und nicht einen Palästinenserstaat in 1967 besetzten Gebieten möchten und zu vielem mehr. Vor allem aber dazu, am besten mit Landkarten, dass nur wenige nukleare Detonationen in den kleinen Ballungsräumen Israels reichen würden, weit effektiver als die deutschen Gaskammern Millionen Juden zu morden. Dazu, dass jeder Tag, an dem der lächelnde neue Staatschef des Iran verhandeln darf, hilft, die Bombe zu bauen. Kennt noch jemand Adolf Hitlers Lieblingsthema, bis die Wehrmacht als modernste Armee Europas angriffsfähig war? Es war der Frieden.
Davon wird auf keiner Veranstaltung gesprochen werden, im Gegenteil, zeitgleich bietet die Welt den persischen Atombastlern einen Vertrag an, der den Druck auf sie mindert und den Zeitgewinn in Paragrafen gießt, schockierend existenzbedrohend für Juden und Araber in Israel. Europa kümmert das nicht, es boykottiert lieber israelische Produkte, mit der traditionellen gelben Labelfarbe.
Solange diejenigen besonders tiefsinnig zu den Feiertagen über die Toten schwadronieren dürfen, die im Alltag sich der Israelkritik hingeben, ohne dabei auch nur eine Spur von Scham zu empfinden, wird der Antisemitismus weiter grassieren. Eine Wende im Denken fängt erst an, wenn dies medial laut benannt wird. Vielleicht war die ARD-Doku keine Eintagsfliege und die europäische Antisemitismusstudie ernst gemeint. Allein, der Glaube fehlt.
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Auch veröffentlicht bei World-Media-Watch und Haolam.
„diese Juden“, „muslimische Mobs“, „persische Atombastler“, „PLO-Mörder“, „Europa kümmert das nicht“
Derartige verallgemeinernde Stigmatisierungen sind mir als deutscher Jude gerade an diesem Tag besonders peinlich. Ihr Einsatz gegen Antisemitismus entspringt unbewusst dem gleichen Opportunismus wie der Antisemitismus eines jeden sozialen Gefüges – unabhängig davon ob heute oder damals. Der Grund für ihren Einsatz ist lediglich zufälliger Natur und lässt ein grundlegendes Verständnis von Antisemitismus, Rassismen und Intoleranz missen.
Die ARD-Doku krankt im übrigen daran, dass on Anfang an davon ausgegangen wird wird, dass Antisemitismus „auch in der MItte der Gesellschaft, also auch bei uns“ zu finden sei. Also dass ein diffuses „wir“ die Deutschen umschreibt, die gegenüber den anderen -den Juden- sich in gewisser Art und Weise verhält – ganz so, als seien Juden generell keine Deutschen.
Sie und die Doku missverstehen hier aber, dass Toleranz nicht bedeutet, dass eine diffus definierte Gruppe eine andere diffus konturierte toleriert, sondern dass jeder Mensch einen jeden anderen unabhängig seiner Attribute toleriert.
Der Begriff „diese Juden“ sollte die Einstellung der Kriegsgeneration verdeutlichen, ich bedaure, wenn Ihnen das nicht deutlich wurde oder sie das nicht verstehen wollten. Andere haben das. Dann setze ich es jetzt in Anführungszeichen, damit auch Sie zufrieden sind.
Die anderen Begriffe sind hart, aber keinesfalls falsch oder pauschalisierend.
Der Ausdruck „muslimische Mobs“ bedeutet nicht, dass damit alles Moslems Mob (dann wäre es ja meine arme Gattin auch) sind, sondern vielmehr, dass die Mobs, die die Juden aus Malmö vertreiben, nicht zufällig aus Moslems bestehen, sondern aus Fanatikern, die ihren Judenhass ausdrücklich aus dem radikalen Islam beziehen.
Die PLO ist eine Terrororganisation, für die der Mord der zentrale Bestandteil ihres Vorgehens war und, wie man an der Art ihrer Tätigkeit in der Westbank sehen kann, bis heute ist.
Die Bombenbastler sind nun einmal im Iran zu finden, sie bauen dran und das Ziel ihres Handelns ist Israel.
„Europa kümmert das nicht“ wäre das Einzige, das etwas pauschal ausgedrückt sein könnte. Tatsache ist, dass sowohl Regierungen wie EU Kommission keinerlei Bereitschaft zeigen, Verständnis für die Dramatik einer iranischen Bombe aufzubringen, ebenso, wie die Boykottbewegung in Europa immer tiefer zu Hause ist.
Ich bevorzuge es, Dinge so zu benennen, wie sie sind und nicht beschönigende Formulierungen zu suchen. Im übrigen ist gerade Antisemitismus ein gruppenbezogenes Phänomen.
Das alles können Sie natürlich ableugnen, das kann „ihnen als deutscher Jude“ (ich als Jüdin sage ihnen, war die Lieblingsformulierung der „Israelkritikerin“ Irena Wachendorff, die sich ihre jüdische Biografie erlogen hatte) gern peinlich sein, Sie dürfen mich Banausen auch pseudoakademisch analysieren, nur die Realität, die bekommen Sie nicht weg. Natürlich ist es eine Frage, inwieweit ein Baumgermane wie ich mit mit dem Begriff „wir“ arbeiten kann. Ich tue es, weil nicht das „wir“ aller Deutschen gemeint ist, sondern es das „wir“ der nichtjüdischen Deutschen ist, das „wir“ der Nachfahren der Mördergeneration, samt ihres geschichtlichen Erbes und Umgangs damit. Genau darum geht der Text ja. Mit etwas weniger gewollter Spitzfindigkeit und etwas mehr Textverständnis hätten Sie es sogar erkennen können.
Ich danke Ihnen natürlich ausdrücklich für die Mühe der Textanalyse.