In der Wahl ihrer Mittel haben die Femen Recht. Titten sind immer der Aufreger, sie lassen, zumindest bei jungen Trägerinnen, kaum einen Mann kalt und am falschen Ort im absurden Zusammenhang eingesetzt, garantieren sie größtmögliche Geschmacklosigkeit. Nicht nur im Dom zu Köln, beispielsweise auch in Dresden. Bei einem heterogenen virtuellen Freundeskreis kann sehr spannend gelesen werden, wie es emotionalisiert, entweder zustimmendes Schmunzeln oder echte Empörung, ohne Platz für Zwischenraum. Wer schlau ist, verzichtet daraufhin auf eine eigene Befassung, der Vergnügungssüchtige verscherzt es sich mit beiden. Der Leser wird nicht überrascht sein, letzteres soll versucht werden.
Das Ersticken, Verbrennen bei lebendigem Leibe, in die Luft gesprengt und erschlagen werden von 25.000 Menschen, unterschiedslos Einwohner, panische Flüchtlinge, Schuldige, Mitschuldige, Unschuldige und Verfolgte, alte Männer, Frauen und Kinder, ist kein Scherzthema, es ist Teil des schmutzigen blutigen Geschäfts, das man Krieg nennt. Die Strategie des „moral-bombing“, des gezielten, mit immer perfideren Methoden verfeinerten Feuertodes von Zivilbevölkerung, um deren Kriegswillen zu brechen, eignet sich nicht wirklich für Dankesbekundungen an den Strategen, sondern mehr für stilles Gedenken an jene, die mit ihrem Leben bezahlten. 500.000 Bombentote und 50.000 gefallene britische Flieger, ferner umgekommene deutsche Nachtjäger, kostete Harris (übrigens in Gänze gescheiterter) Versuch, den Krieg durch den nächtlichen Tod aus der Luft zu gewinnen. Insofern ist die Aktion der beiden jungen Damen unabhängig der Bewertung des Angriffs auf Dresden mit geschmacklos noch liebevoll umschrieben.
Allerdings wollte sich die eigene Entrüstung nicht einstellen. Das liegt an jenem Spezifikum Dresden, das, schon einmal beschrieben, Jahr für Jahr mit gruseliger Borniertheit abgefeiert wird. Es geht nicht um den Aufzug von ein paar Neonazis und schon gar nicht um die ebenso sinnfreien Gegendemonstrationen, deren Opfer doch nur die Ordnungsmacht ist, die das Demonstrationsrecht garantieren muss, es geht um diese Feierkultur nach 70 Jahren, die mehr und mehr wie ein Suhlen im deutschen Opfer wirkt. Es gibt keine Stadt in Deutschland, die nicht vom Bombenkrieg betroffen war, aber nur eine, die auch 70 Jahre danach ihre Gedenkfeiern zelebriert. Anne Helm, eine der beiden Beteiligten, hat ihre Motivation in einem Interview erklärt. Ein städtisches Rahmenprogramm kann noch so aufgeklärt sein wollen, tatsächlich stehen solche Feiern in der Tradition von Goebbels und der DDR, die unisono die Verzehnfachung der Opferzahlen propagierten und ein westliches Kriegsverbrechen konstruieren wollten, was mit wachsender Entfernung vom Ereignis nur um so mehr Menschen anzuziehen scheint, Kommentarspalten in sozialen Netzwerken und unter Zeitungsartikeln sprechen Bände. Dass die freie Welt Demokratie und Wohlstand mit Waffengewalt in dieses Land bringen musste, scheint unverzeihlich zu sein.
Jeden Februar wird in Dresden dem seltsamen Bedürfnis vieler, die Jahrzehnte nach dem Krieg geboren sind und nichts müssten, als ein düsteres Erbe zu akzeptieren, nach Aufrechnung nachgekommen. Nicht durch das, was die Stadt an Feiern anbietet, sondern durch die bloße Existenz dieser Veranstaltungen, die im Kopf ihrer Teilnehmer das ersehnte Gefühl auslösen, Nachfahren von Opfern zu sein, die Realität verdrängen zu dürfen, dass die Vorfahren Täter, Gehilfen und Zuschauer waren.
Wer Dresden verstehen will, der muss sich mit dem gesamten Luftkrieg und seiner Vordenker auseinandersetzen, mit der Theorie vom vernichtenden Bombenkrieg, der künftige Kriege entscheiden würde, die alle Seiten vertraten und die Deutschen als erste in die Tat umzusetzen begannen. Der muss sich mit der Enthemmung durch den Krieg befassen, die ihre Ursache in den deutschen Fliegerangriffen, den Geiselerschießungen, den Massakern der Besatzungherrschaft und im Versuch des Vernichtungskrieges gegen die Völker des Sowjetreiches hatte. Dies allein wäre ausreichend dafür gewesen, dass die britische Führung keine Empathie mit den Feinden zu empfinden vermochte und die Deutschen auch keine mehr erwarten konnten. Tatsächlich aber beging das Reich zusätzlich mit der Ermordung sechs Millionen jüdischer Menschen, einzig ihrer Herkunft wegen, das ungeheuerste Verbrechen der Menschheitsgeschichte. Ohne zu ahnen, dass die Alliierten wenig Interesse daran hatten, nahmen die Zeitgenossen, die vom Bombenkrieg betroffen waren, ihr Schicksal oftmals sehr wohl als Strafgericht wahr, nachzulesen bei Peter Longerich.
Der Krieg ist kein Cricketspiel, sagte der gefangene britische Jagdflieger Douglas Bader dem späteren General Galland, angesprochen auf einen Angriff, den die Deutschen als unfair empfanden, kein sportlicher Wettbewerb mit dem Anspruch auf Fairplay. Er ist eine ungeheure Auseinandersetzung auf Gedeih und Verderb zwischen Völkern, in der all das eingesetzt wird, was möglich ist, zumal in einem Krieg der Welt gegen das abgrundtief Böse. Nach den Gesetzen jenes Krieges war die Absicht von Arthur Harris, die Deutschen allein durch Bomben zu besiegen, legitim, die Besatzungen der Lancasterbomber kämpften furchtbare Schlachten am Nachthimmel über deutschen Städten, aber sie waren in diesem Kampf die Guten. Darum allerdings wollen nur noch die wenigsten Dresden verstehen, stattdessen viel lieber aus 25.000 erbärmlich zu Tode gekommenen Menschen 250.000 machen und den Feuersturm des selbst begonnenen Krieges den Krematorien von Auschwitz, in denen die vergasten, an jenem Kriege völlig unbeteiligten Menschen verbrannt wurden, gleichsetzen. Die Selbstgerechtigkeit nervt ungeheuer alle Jahre wieder.
Anne Helm hat weiterhin eine Aktion unternommen, die die Toten verhöhnte, die ein Nogo ist und bleibt. Aber ihre Begründung, die sie besonnen formuliert hat, vermag ich zu verstehen, zu teilen.
Möge es doch irgendwann irgendjemanden in dieser Stadt Dresden geben, deren Fußballfans selber gern andere Stadien anzünden, der ein Ende mit der Gedenkerei macht und den Toten ihre Ruhe gibt.
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