Fateful Months nannte Christopher Browning in einem grundlegenden Werk zur Genesis der Shoa die zweite Jahreshälfte 1941. Als Fateful Days könnte man jene Tage von Mitte November bis zum 11. Dezember vor 77 Jahren bezeichnen, denn sie entschieden ein halbes Jahrhundert bis zur nächsten Zeitenwende im Jahre 1989, auf für die Heutigen nicht mehr nachvollziehbare Weise menschenverschlingend. Von unserem Gastautor Waldemar Alexander Pabst.
Nördlicher Pazifik
Es stürmte, die Datumsgrenze war überschritten worden. Yamamotos Trägerverband, unter dem Befehl des Admiral Nagumo, fing einen Funkspruch auf. “Niitaka yama Nobore”, was so viel heißt, wie ersteigt den Berg Niitaka. Es war die verschlüsselte Botschaft, die nichts weniger bedeutete, als der Angriff auf den Stützpunkt der amerikanischen Pazifikflotte, Pearl Harbor, hätte am 7. Dezember um 8:00 Uhr Ortszeit zu beginnen. Jetzt hieß es nur noch unentdeckt dorthin zu kommen. Yamamoto hatte Befehle für den Fall der Entdeckung gegeben. Umkehren, sobald sie gesichtet würden bis zwei Tage vor dem Tag X, danach aus eigenem Ermessen handeln, am letzten Tag trotzdem zuschlagen. Entdeckt wurde die Kidō Butai niemals.
Am Vortag war es in Japan zu einer Kaiserliche Konferenz gekommen. Die Spitzen Nippons versicherten sich, dass unumkehrbar werden sollte, was sie ins Laufen gebracht hatten. Die Amerikaner ahnten es schon. Alle Anweisungen an die japanischen Verhandlungsführer in Washington konnten sie mitlesen, eine war kaum mehr misszuverstehen, am 29. November, erfuhren Nomura und Kurusu, hätte die Zeit der Verhandlungen ein unwiderrufliches Ende, danach “würden die Dinge ihren Lauf nehmen”. Dies löste die Vermutung der Aufklärer aus, am 1. Dezember bräche der Krieg aus. Sie irrten nur um eine Woche. Noch immer waren sie im Glauben, die Philippinen und die britischen Besitzungen wären das Ziel. Sie mussten sich eingestehen, nicht zu wissen, wo die feindlichen Träger wären, beruhigten sich jedoch damit, dass sie weiter als Reserve und Schutz vor den japanischen Inseln lägen.
Der Plan
Pearl Harbor als Ziel wurde nicht ernsthaft angenommen. Dabei war Yamamotos großer Plan nicht einmal originell. Bereits 1932 hatte der amerikanische Admiral Yarnell in einem Manöver einen Luftangriff von Trägern aus simuliert, erschreckend erfolgreich, 1937 wurde dies wiederholt. Selbst das große Interesse des japanischen Militärattachés beim Achsenpartner Italien, als britische, völlig veraltete Torpedobomber vom Typ Swordfish, im Hafen von Tarent ein Schlachtschiff versenkten und zwei schwer beschädigten, hinterließ keine nennenswerten Erkenntnisse auf der US Seite. Die Entscheidung, die Flotte gegen den ausdrücklichen Willen des pazifischen Oberbefehlshabers Richardson nach Pearl Harbor zu verlegen, um Japan unter massiven Druck zu setzen, den Expansionskurs zu beenden, war nicht nur ein weiterer Punkt, der des Tennos Führer vor die Entscheidung stellte, einen Krieg als Option zu wählen, sondern gab gleichfalls die einzigartige Chance eines vernichtenden Überraschungsschlags. Richardsons Proteste führten dazu, dass er im Pazifik durch Admiral Husband E. Kimmel ersetzt wurde, Yamamotos Gegenspieler für einen Tag.
Isoroku Yamamoto war am 30. August 1939 das Kommando über die Vereinigte Flotte übertragen worden, nachdem er als stellvertretender Marineminister der neuen Regierung radikaler Verfechter des Bündnisses mit Deutschland als Kriegsgegner nicht mehr tragbar erschienen war. In dieser Funktion war es seine Aufgabe, Japans Überseeflotte kriegstauglich zu machen und er hatte die ungeheuerliche Idee, diesen mit einem Überraschungsschlag zu beginnen, als die amerikanischen Schlachtschiffe vor seiner Haustür lagen. Es war ein Mann an die Spitze gekommen, der sich von den traditionellen Vorstellungen des Seekrieges gelöst hatte und ihn revolutionieren sollte. Er sah die Überlegenheit des Flugzeugs über das Schiff, setzte die Erkenntnis entschlossen auch gegen die Bedenken seiner Untergebenen durch und entwarf die Vision. Der Stabschef der Marine bezog einen jungen Offizier und Flieger ein, Minoru Genda, gab ihm den Auftrag zu einer Studie; in den ersten Monaten des Jahres 1941 stand das Vorhaben, sechs Flugzeugträger wären nötig, ergab ein Planspiel, bei dem auch mit dreien der Erfolg versucht wurde, eine einsame Bucht ließ sich finden, die Pearl Harbor ähnelte, wo die Piloten ihre Angriffe erproben konnten. Bis zuletzt hoffte der Admiral, dass sich eine politische Lösung fände. Letztlich war diese weder von Tokio, noch von den USA gewünscht. Während der japanische Vorschlag darin bestand, die USA mögen alle Eroberungen anerkennen und den Handel wieder aufnehmen, forderten die USA den vollständigen Rückzug nicht nur aus Indochina, auch aus China für die Aufhebung der Wirtschaftssanktionen. Tojos Regierung strebte die Kontrolle über ganz Asien an, den japanischen Herrenmenschen, Roosevelt aktiv gegen die Achsenmächte, die schlimmsten Feinde der Menschheit, eingreifen zu können. Yamamoto mag es mit resigniertem Schrecken beobachtet haben, er hatte seinen Auftrag. Als er nach den Möglichkeiten gefragt wurde, sagte er, der zu den wenigen gehörte, die das Wirtschaftspotential der USA richtig einzuschätzen wussten: „Wenn ich den Befehl bekomme, ohne Rücksicht auf die Folgen Krieg zu führen, werde ich die ersten sechs Monate oder ein Jahr lang wild um mich schlagen. Sollten die Kämpfe aber noch ein zweites oder drittes Jahr andauern, sehe ich äußerst schwarz.“ Sechs Monate nach Pearl Harbor wendete sich der Pazifikkrieg bei Midway.
Es war so weit, die Träger hatten den endgültigen Befehl, die Verhandlungsführer die Anweisung, die Gespräche nur noch zum Schein weiter zu führen. Der Krieg lag in der Luft, einzig mit seinem Beginn über Hawaii rechnete keiner der Verantwortlichen in Washington.
Churchill hatte, der Lage folgend, die „Force Z“, bestehend aus dem Schlachtschiff Prince of Wales, dem Schlachtkreuzer Repulse und 4 Zerstörern, vom Atlantik in den Pazifik beordert, am jenem 02. Dezember lief diese in Singapur ein.
Vor Moskau
Immer sinnloser wurde die Offensive. Feldmarschall von Bock, der die Heeresgruppe Mitte führte und davon träumte, wie einst in Paris auch in Moskau als siegreicher Feldherr einzuziehen, handelte inkonsequent, längst musste ihm intellektuell klar gewesen sein, dass seine entkräfteten Truppen nicht mehr voran kommen konnten, dennoch hatte er seinen gleichrangigen Untergebenen von Kluge gedrängt, die 4. Armee im Zentrum, an der Nara im Oktober liegen geblieben, zum Teilnehmer der Offensive zu machen. Jetzt, wo alles schon vorbei war, gab Kluge nach, drei Tage nur dauerte sein absurder Angriffsversuch.
Hoepners Panzergruppe 4 war der letzte Verband, der tatsächlich noch vorstieß. Seine 2. Panzerdivision schickte am 2. Dezember das Panzerpionierbataillons 62 voran, das in Chimki, damals noch Vorort der Sowjethauptstadt, eindrang. Entkräftet, erfroren, gelang es seinen Offizieren, einen Blick durchs Scherenfernrohr auf die Zwiebeltürme des Kremls zu werfen, mehr nicht. Die Rote Armee warf sie noch am Abend zurück. Keinem der Beteiligten wird klar gewesen sein, dass dieser Gegenangriff die buchstäbliche Wende des 2. Weltkrieges war. Dort, wo Hoepners Krieger den Kreml sahen, bauten die Sowjets nach dem Krieg ein großes Denkmal, ihnen hatte sich da die Bedeutung des Augenblicks erschlossen. Operation Taifun, die Großoffensive, die den Krieg zugunsten der Nazis beenden sollte, erstarb einfach, lief sich fest an einer immer stärkeren Roten Armee in Kälte und Schnee. Die verantwortlichen Oberbefehlshaber hätten die Lage erkennen müssen, sie taten nichts, als ihre Soldaten so lange weiter zu hetzen, bis die nicht mehr konnten, keine Winterstellung, stattdessen verschanzten sie sich in zufälligen, kaum befestigten Plätzen im Freien, nicht einmal eingraben konnten sie sich im Forstboden.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Wehrmacht die bis dato größte Armee aller Zeiten, die ihr mit 5 Millionen Mann am 22. Juni 1941 gegenüber lag, ausgelöscht und doch stand ihren inzwischen ausgebrannten Soldaten eine nahezu gleich große, zu allem entschlossene Rote Armee wiederum gegenüber. Der Bolschewismus hatte gewankt, der Zusammenbruch blieb aus. Stalins geschundene Untertanen, die der deutschen Armee als Befreier zujubelten, als sie ins Land eindrang, hatten furchtbar erkennen müssen, dass es keine Kreuzzügler gegen den Kommunismus waren, sondern germanische Vernichtungskrieger, die nichts anderes beabsichtigten, als die Bevölkerung der besetzen Gebiete entweder verhungern zu lassen oder zu versklaven, die Juden zu ermorden. Millionen von Kriegsgefangenen, von denen viele sogar bereit gewesen wären, mit ihren scheinbaren Befreiern gegen Stalin zu kämpfen, ließen die Rassenkämpfer verhungern, erfrieren, an Seuchen sterben. 3,5 Millionen Rotarmisten fielen im zweiten Halbjahr 1941 in deutsche Hände, im Frühjahr lebte noch knapp eine Million. Nach der Shoa ist der Mord an den russischen Kriegsgefangenen das größte Verbrechen Deutschlands, bis heute verdrängt. Jetzt war nicht mehr nur der Bolschewismus der Gegner, sondern ein ganzes Land und seine Völker, die für das eigene Überleben kämpften. Stalins nationale Propaganda (Genossen! Bürger! Brüder und Schwestern!) konnte allmählich wirken, weil sie im Kern die Wahrheit war. Die Deutschen in zerlumpten Herbstmänteln taumelten erschöpft und die Sowjets hatten frische Kräfte in Pelzen aus dem fernen Osten herangefahren. Winterfritzen wurde der Spottname der Rotarmisten für die Wehrmachtssoldaten.
Erschienen am 02.12.2018 bei Ruhrbarone
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