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Gastbeitrag, Waldemar

Griff in die Geschichte: Fateful Days 29.11.1941 – Einladung zur Wannseekonferenz

 

Fateful Months nannte Christopher Browning in einem grundlegenden Werk zur Genesis der Shoa die zweite Jahreshälfte 1941. Als Fateful Days könnte man jene Tage von Mitte November bis zum 11. Dezember vor 77 Jahren bezeichnen, denn sie entschieden ein halbes Jahrhundert bis zur nächsten Zeitenwende im Jahre 1989, auf für die Heutigen nicht mehr nachvollziehbare Weise menschenverschlingend.  Von unserem Gastautor Waldemar Alexander Pabst.

Reinhard Heydrich war auf dem Höhepunkt seiner Karriere angelangt. Er kontrollierte den gesamten deutschen Sicherheitsapparat, einzig die Herrschaft über das Geschehen in den Konzentrationslagern hatte Himmler ihm verwehrt. Einweisen aber konnte er, wen er wollte. Sein Ehrgeiz war ungebremst, selbst die Parteigenossen fürchteten ihn. Um für die weitere Karriere nicht nur mit dem Terrorapparat identifiziert zu werden, hatte er sich zum stv. Reichprotektor in Böhmen und Mähren machen lassen, nach dem der ursprüngliche Reichprotektor und ehemalige Außenminister in einen ewigen Urlaub geschickt worden war. De facto war Heydrich nun unumschränkter Herrscher über die Tschechen, hatte sich für Hitler und Himmler erfolgreich eingeführt, mit einer Mischung aus Terror gegen alles Oppositionelle, Hunderten von Hinrichtungen und Erhöhung des Lebensstandards für die Rüstungsarbeiter, um die einfachen Menschen auf seine Seite zu ziehen, solange er sie zum Arbeiten brauchte.

Die eigentliche Profession hatte er natürlich beibehalten. In dieser Eigenschaft wurde es seine Zuständigkeit, das europäische Judentum zu ermorden. Tatsächlich ist die Pogromnacht vom 09.11.1938 eine entscheidende Zäsur. Goebbels Inszenierung hatte ihm zwei Feinde eingebracht, Göring auf der einen Seite, die SS Führer Himmler und Heydrich auf der anderen, die die Gelegenheit ergriffen, nach dem Lamento über den wirtschaftlichen Schaden und den außenpolitischen Ansehensverlust, die Zuständigkeit für Entrechtung, Schikane, Qual und Vertreibung der jüdischen Deutschen zu ihren Gunsten klar zu regeln. Die Oberaufsicht bekam Göring als Beauftragter für den Vierjahresplan, die Exekutive die SS.

Bis Kriegsbeginn war die Politik des Reiches auf Ausrauben und Vertreiben der deutschen Juden gerichtet. Mit der Besetzung Polens aber gerieten auf einem Schlag mehr als 2 Millionen Juden unter ihre Herrschaft und Ideologie. Es begann ein entsetzliches Verschieben von Menschen, aus den annektierten Gebieten wurden die Juden ins Generalgouvernement vertrieben oder in Lodz ins Ghetto gesperrt, wo ab 1941 die Kranken, die Kinder, die Alten, die Schwachen des Ghettos mit Gaslastwagen in Chelmo bestialisch getötet und vergraben wurden. Dramatisch verschärft wurde dies durch die Völkerschiebung der NS Ideologen, die nun Deutsche aus dem Baltikum, aus Rumänien, Ungarn zur Ostkolonisation holten, Umvolkung nannte man das. Einfach gedacht, sollten Polen ins Generalgouvernement vertrieben werden, jeweils drei ihrer Höfe einem deutschen Neusiedler übergeben, die Vertriebenen die Wohnungen der ghettoisierten Juden beziehen. Himmlers Menschenrochade funktionierte nur in der Theorie, die Ghettos im Generalgouvernement wurden überfüllt, die Opfer schnell durch Hunger und Seuchen dezimiert. Das massenweise Töten begann in Wahrheit bereits in den Ghettos. Heydrichs krude Ideen, die Juden nach Madagaskar zu deportieren, wo sie in tropischem Klima unversorgt auf sich gestellt auch nichts anderes als der Tod erwartet hätte oder ein „Reservat“ bei Lublin einzurichten, blieben Hirngespinste.

In dieser Atmosphäre des allgegenwärtigen Sterbens der zusammengepferchten Juden, Ängsten vor Seuchen, die die Mörder heimsuchten, radikalisierte sich das Denken hin zum eliminatorischen Mordentschluss. Browning legt dar, dass den Vernichtern der absolute Zivilisationsbruch der Entscheidung vom Neugeborenen bis zum Greis alle Juden Europas zu töten, gar nicht mehr als eine weitere Stufe zu einem einzigartigen Verbrechen vorgekommen sein mag, sie könnten es eher als Rationalisierung dessen gesehen haben, was sie ohnehin schon taten. Die selbstgeschaffenen Probleme in Polen werden ausschlaggebend gewesen sein, mit Beginn des Feldzuges gegen die Sowjetunion im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion auf die Ghettoisierung weitgehend zu verzichten und durch die mobilen SS-Einsatzgruppen die jüdische Bevölkerung hinter der Front sofort zu erschießen.

Der Initialzündung zur Shoah ist in dieser Zeit gefallen. Streng nach den vereinbarten Regeln, ließ Heydrich sich am 31. Juli 1941 von Göring beauftragen:

„In Ergänzung der Ihnen bereits mit Erlaß vom 24. Januar 1939 übertragenen Aufgabe, die Judenfrage in Form der Auswanderung oder Evakuierung einer den Zeitverhältnissen entsprechend möglichst günstigen Lösung zuzuführen, beauftrage ich Sie hiermit, alle erforderlichen Vorbereitungen in organisatorischer, sachlicher und materieller Hinsicht zu treffen für eine Gesamtlösung der Judenfrage im deutschen Einflußgebiet in Europa. Sofern hierbei die Zuständigkeiten anderer Zentralinstanzen berührt werden, sind diese zu beteiligen. Ich beauftrage Sie weiter, mir in Bälde einen Gesamtentwurf über die organisatorischen, sachlichen und materiellen Vorausmaßnahmen zur Durchführung der angestrebten Endlösung der Judenfrage vorzulegen.“

Heydrich hatte diesen Text selber ausarbeiten lassen und Göring dann vorgelegt. Himmler wurde vielfach zu seinem Führer zu Unterredungen unter vier Augen bestellt, deren Inhalt unbekannt sind. Sein Handeln danach gibt Aufschluss. Er bereiste die SS Einheiten hinter der Front und sorgte für immer größerer Mordquoten. Er beauftragte Arthur Nebe, den Chef der deutschen Kriminalpolizei, abgeordnet als Kommandeur der SS-Einsatzgruppe B, ein effizientes Tötungsverfahren zu entwickeln, da die Erschießungen sich als in der Menge nicht rationell erwiesen hatten und die sensiblen Seelen der Mörder über die Belastung klagten. Nebe experimentierte in Mogilew bei Smolensk an russischen Psychiatriepatienten, die er wahlweise sprengen oder mit Kohlenmonoxid vergasen ließ. Auf eine Beschreibung der Folgen der Sprengung von Menschen soll verzichtet werden, das gefundene Verfahren ist bekannt. In Auschwitz wurden sowjetische Kriegsgefangene mit dem Desinfektionsmittel Zyklon B probeweise vergast. Kurzzeitig wurde auch erwogen, die Juden in den russischen Norden zum Verhungern abzuschieben, der aber noch nicht erobert war. Höß und dem höheren SS und Polizeiführer von Lublin, Globocnik, der das polnische Judentum vernichten sollte, eröffnete Himmler ihre Aufgaben, Heydrich ließ seinen subalternen Untergebenen Eichmann kommen, um ihn zum Organisator der Verbringung der Juden außerhalb Polens und der Sowjetunion in den Tod zu ernennen. Globocnik ließ Vernichtungszentren planen, der Bau des ersten, Belzec, begann Anfang Dezember. Der Rausch der Allmacht, von den bis dahin beispiellosen Siegen gegen die Rote Armee beflügelt, hatte ein singuläres Mordverbrechen kreiert, dessen Umsetzung bevorstand.

Nur eines blieb Heydrich noch, die Ministerien und Behörden zu informieren und sich ihrer Mitarbeit zu versichern. Er war nicht ohne Anspannung, sowohl Kompetenzgerangel, als auch Bedenken von Angehörigen der alten Eliten mussten einkalkuliert werden. An diesem 29.11.1941 lud er die Spitzen der Behörden zum 9. Dezember zu einer Aussprache mit Frühstück ein, Görings Ermächtigung schickte er in Kopie dazu, zur Klarstellung, wer das Sagen hätte. Der Ort war ein Erholungsheim für Bedienstete des Reichssicherheitshauptamtes, das offiziell zu Interpol gehörte, die Villa am Großen Wannsee 56-58.

Die Wehrmacht kämpfte sich immer mühsamer vor. Die Panzergruppe 2 war vor Tula gestoppt worden, sie stand südöstlich von Moskau, ein weiterer Angriff unmöglich. Die 4. Armee, die das Zentrum vor der Hauptstadt bildete, hatte die neue Offensive gar nicht erst aufnehmen können. Die Temperaturen waren unter -35° C gesunken, der Nachschub ließ kaum Munition zu, an Winterbekleidung war nicht zu denken. Die Panzergruppe 3 stieß auf Krasnaja Poljana vor, nahm den Ort am Folgetag und kam bis auf 18 km an Moskau heran. Dann erlahmte auch ihre Kraft. Die Zahl ihrer Panzer war auf 70 bis 80 gesunken. Einzig Hoepners Panzergruppe schob sich noch weiter vor, er hatte 170 Kampfwagen, das Ende war abzusehen. Auf der Gegenseite schlossen sich die Reihen immer enger durch die wintererfahrenen, bestens ausgerüsteten Soldaten der Fernostarmee. Schukow meldete Stalin die Einsatzbereitschaft zur Gegenoffensive am Folgetag. Joseph Goebbels ließ Pelze sammeln. Mitten in der Entscheidungsschlacht des Krieges änderte sich der Ton der Wochenschau. Berichtet wurde wieder aus Afrika und von der Luftwaffe am Kanal, Russland immer kürzer angesprochen. Die triumphale Musik des Sommers trat in den Hintergrund. Der Volksgenosse, der zwischen den Zeilen zu deuten wusste, musste aufmerken.

Durch die stürmische See des Pazifiks aber stampfte Yamamotos Flotte. Sie durchquerte jene Seegebiete, wo es zu dieser Jahreszeit stürmte und kein anderes Schiff zu erwarten war, das sie hätte entdecken können. Ihre Funker waren auf den Kurilen geblieben und spielten der amerikanischen Aufklärung Normalität im Hafen vor. Das Schema des sonstigen japanischen Funkverkehrs aber machte die US Aufklärung zunehmend nervös. Es wurde deutlich, dass Flottenverbände und Landungsschiffe unterwegs waren, die Vermutung ging in Richtung einer großen Gefahr für die britischen Kolonialgebiete und die Philippinen. Es korrespondierte mit den Anweisungen an den japanischen Botschafter Nomura in Washington und den für die Verhandlungen zusätzlich entsandten Sonderbotschafter Kurusu, die auf einen bevorstehenden Gesprächsabbruch hindeuteten. Den diplomatischen Code hatte die US Funkaufklärung geknackt, sie konnte mitlesen. Man begann einen Kriegsausbruch am Sonntag, dem 1. Dezember, zu befürchten, für Angriffe gegen die britischen Positionen und die Philippinen waren keine Träger nötig, man glaubte weiter, sie wären zur Verteidigung Japans zurückgeblieben.

 

Erschienen am 29.11.2018 bei Ruhrbarone

Über Waldemar Alexander Pabst

Undogmatischen Konservativer. Nazifeind, Antikommunist, entschiedener Gegner jedes religiösen Totalitarismus, Rassismus und nicht zuletzt der Verschwörungstheoretiker. Bekennender Israelfreund und das, was man einmal einen “Atlantiker” nannte. Vertritt uneingeschränkt das Gesellschaftssystem der freien Welt. Blog: https://schwarzoderweiss.wordpress.com/

Diskussionen

Ein Gedanke zu “Griff in die Geschichte: Fateful Days 29.11.1941 – Einladung zur Wannseekonferenz

  1. Hat dies auf uwerolandgross rebloggt.

    Verfasst von uwe.roland.gross | 25. Mai 2019, 16:35

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