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Waldemar

Griff in die Geschichte: Fateful Days, 11.12.1941 – Hitlers Tabula Rasa


Fateful Months nannte Christopher Browning in einem grundlegenden Werk zur Genesis der Shoa die zweite Jahreshälfte 1941. Als Fateful Days könnte man jene Tage von Mitte November bis zum 11. Dezember vor 77 Jahren bezeichnen, denn sie entschieden ein halbes Jahrhundert bis zur nächsten Zeitenwende im Jahre 1989, auf für die Heutigen nicht mehr nachvollziehbare Weise menschenverschlingend.  Von unserem Gastautor Waldemar Alexander Pabst.

Roosevelt war im Krieg, indes noch immer nicht in jenem, den er angestrebt hatte. Japan hatte die USA angegriffen, der Marine schwere Verluste zugefügt, Yamamoto tat, was er angekündigt hatte, er schlug um sich. Der Überraschungsangriff auf Pearl Harbor hatte die Menschen in den USA gerade für die Politik des Präsidenten eingenommen, in der schweren Bedrängnis des Pazifikkriegs ausgerechnet ohne Not den Deutschen den Krieg zu erklären, wäre vermutlich nicht gut angekommen. Er hätte sich schon etwas Kreatives ausdenken müssen.

Die Deutschen, gerade von ihrem japanischen Verbündeten düpiert, gaben sich eine kurze Pause zum Luftholen. Heydrich ließ die Wannseekonferenz bei allen Eingeladenen telefonisch absagen, Terminschwierigkeiten angesichts der Lage und der für den 11.12. angesetzten Reichstagssitzung gab er als Grund an. Einerseits wurden keine Vorbereitungen angehalten, nicht der Bau von Belzec, nicht die beginnenden Deportationen, andererseits war der Judenmord eine Idee aus der Zeit der Allmachtsfantasien vor wenigen Wochen. Die waren nun grundlegend ausgeträumt. Es mag daher im Bereich des Möglichen liegen, dass die Mörder noch einen kurzen Moment inne hielten, ob sie das Ungeheuerliche auch mit der Aussicht auf die Niederlage begehen wollten.

Der primitive Mann an der Spitze, wie Peter Bamm ihn nannte, ahnte, dass im Osten gerade das Ende all seiner größenwahnsinnigen Wünsche begann, er musste sich neu orientieren, er mag einen Tag überlegt haben. Er war den Japanern nichts schuldig, sie hatten nicht einmal überlegt, sich nach dem 22. Juni am Krieg gegen die Sowjetunion zu beteiligen, von ihrem Angriff auf die USA unterrichteten ihn die westlichen Nachrichtenagenturen in seiner Wolfsschanze.

Natürlich war es Roosevelts Absicht gegen Hitler vorzugehen, er machte keinen Hehl daraus, er unterstützte Großbritannien Schritt für Schritt deutlicher, erst wurden Waffen verkauft, dann kam das Pacht- und Leihgesetz, das die Bezahlung nach hinten schob und die Arsenale der US Armee auf die Reise nach Europa schickte, 1941 begann seine Atlantikflotte für die halbe Strecke den Schutz selber zu übernehmen, den Radius der deutschen U-Boote damit erheblich einzuschränken. Die Briten als Besatzung Islands wurden abgelöst, was Kräfte frei machte und nach dem Überfall auf die Sowjets floss zusätzlich massiv US-Kriegsmaterial an Stalin, was der Roten Armee das Überleben in ihren dunkelsten Stunden erheblich erleichterte, manche sagen sogar, ermöglichte. Der Führer hatte allen Grund, die USA als verdeckten Kriegsteilnehmer zu betrachten. Es dürfte jedoch seine Vorstellungskraft überstiegen haben, die USA als aktiven Kriegsgegner einzuschätzen.

Sein Ärger war groß, er beschloss, von sich aus am 11. Dezember vor dem Reichstag den Vereinigten Staaten mit einer langen Wutrede über die US-Unterstützung seiner Feinde den Krieg zu erklären und Roosevelt weitere Überlegungen zu erübrigen. Tabula rasa, das entsprach seiner Spielernatur. Er könnte den Gedanken gehabt haben, die Japaner wären in der Lage, die Kräfte der Alliierten lange Zeit verlustreich zu binden, wahrscheinlich dürfte Hitler wenig Wissen über Nippons begrenzte Möglichkeiten gehabt haben. Vielleicht aber kam das Untergangsmotiv das erste Mal bei ihm hoch, ein Ende als Wagneroper, wo Freund und Feind versinken, keine politischen Rücksichten aus Sorge vor einem Kriegseintritt der USA mehr nehmen zu müssen, diese Entscheidung selbst zu treffen, sich bewusst, dass es das letzte Mal wäre, wo er agierte und sein Wille die Ereignisse bestimmte.

Vor diesem Hintergrund wäre die Entscheidung durchaus plausibel, die Shoah jetzt erst recht zu verwirklichen. Sebastian Haffners ebenso originelle wie plausible Hypothese beschreibt eine weitere Möglichkeit. Die Erkenntnis der militärischen Niederlage ließ Hitler ein neues Ziel suchen, der Mord an den Juden, er würde Hitlers zweiter Krieg; Verteidigung der Fronten so lange wie möglich, um die Zeit zu gewinnen, das europäische Judentum auszurotten. Es gibt Hinweise, dass bereits am 12. Dezember 1941 Hitler auf einer Konferenz der Reichs- und Gauleiter in der Reichskanzlei die vorbereitete Ausdehnung des Judenmords auf ganz Europa angekündigt hat. Heydrich ließ sich etwas mehr Zeit, die Wannseekonferenz wurde erst am 8. Januar neu eingeladen, sie fand am 20.01.1942 statt. Seine vorherige Skepsis über die Reaktion der alten Eliten und der bürokratischen Konkurrenten erwies sich als völlig unbegründet. Alle zogen trotz Kriegswende mit, Eichmann würde später aussagen, dass das von Heydrich genau redigierte und in Schleiersprache verfasste Protokoll nicht ansatzweise die offene Debatte über das Morden wiedergegeben hätte. Hinterher lud er, sehr ungewöhnlich für ihn, Gestapo Müller und Eichmann zum Cognac. Sollte die Absage der Konferenz wirklich mehr als nur ein Terminproblem gewesen sein, dann war das Überlegen von sehr kurzer Dauer. Am Ende werden sechs Millionen Menschen hingemordet sein, sechs von elf Millionen geplanten.

Der Krieg danach

Die Oberkommandos des Heeres und der Heeresgruppe Mitte wollten den schnellen Rückzug, um irgendwo im Nirgendwo eine Winterstellung aufzubauen. Hitler erzwang die Verteidigung um jeden Preis, die Deutschen mussten sich in den Boden krallen. Tatsächlich ist im Nachhinein Konsens, dass er ausgerechnet damit Recht hatte, ein befohlener Rückzug hätte wahrscheinlich eine wilde Flucht und die Vernichtung bedeutet. Erleichtert durch die schlecht koordinierte Offensive der Roten Armee ohne Schwerpunktbildung, gelang es auf diese Weise ab Januar langsam wieder die Front bis zu 250 km zurückgedrängt zu stabilisieren. Die Verluste hingegen waren nicht ausgleichbar. Um die 500.000 Mann an Toten, Verwundeten und Gefangenen verlor die Wehrmacht in der gesamten Schlacht um Moskau. Sie war nie wieder in der Lage, eine Offensive an der gesamten Front zu führen.

Hitler rächte sich an seinen Truppenführern. Der Oberbefehlshaber des Heeres musste gehen, der Führer übernahm den Oberbefehl selber, ebenso von Bock, ja alle OB der Heeresgruppen. Bocks Nachfolger wurde ausgerechnet von Kluge, der seine Offensive verweigert hatte. Guderian und Hoepner, die sich Haltebefehlen widersetzt hatten, wurden abgesetzt. Als den Nazigeneral von Reichenau, gerade neuer OB der Heeresgruppe Süd, beim Joggen bei -40° der Schlaganfall hinwegraffte, wurde von Bock noch einmal reaktiviert, im Sommer überwarf er sich mit Hitler und wurde aussortiert.

Der Krieg im Osten war nicht mehr zu gewinnen und Hitler völlig klar, dass ein politischer Ausgleich nach allem, was er an vorstellbaren und unvorstellbaren Verbrechen schon bis dahin begangen hatte, ausgeschlossen werden musste. Von nun an würde Deutschland immer schwächer werden und seine Gegner immer stärker. Fritz Todt, der Rüstungsminister, trug  das am 8. Februar 1942 ungeschminkt vor, praktischer Weise stürzte er beim Start zum Rückflug tödlich ab, Nachfolger wurde Speer, dessen menschenvernichtendes Sklavensystem die Rüstung zwar deutlich zu erhöhen wusste, absolut jedoch machte sie nur einen Bruchteil dessen aus, was die jetzt im Krieg befindlichen USA zu produzieren vermochten. Speers Methode schuf mit der V2 die einzige Waffe der Geschichte, bei deren Produktion mehr Menschen sterben mussten, als bei ihrem Einsatz. Das Ende war nur eine Frage der Zeit. Das Töten allerdings, das bis dahin alltäglich war, sollte alles Vorherige in den Schatten stellen.

Für die deutsche Marine war die Kriegserklärung einige Monate lang ein Vorteil im U-Bootkrieg, sie konnte bis zur US Küste vordringen und dem neuen Feind beträchtliche Verluste zufügen. Noch waren die USA schwach, ihre Rüstungslawine begann erst anzulaufen, die neuen Soldaten mussten ausgebildet und an die Einsatzorte in Übersee gebracht werden. Die Deutschen versuchten daher das, was ihnen noch übrigblieb, eine Entscheidung zu erzwingen, bevor Roosevelts Armeen den Kriegsschauplatz in Europa betraten, mit unzureichenden Mitteln nach den beschriebenen Verlusten des Winters. Mit höchstem Einsatz und einer überlegenen Führung kamen sie bis Stalingrad, Elista in der Kalmückensteppe, an den Pass vor Wladikawkas und mit der kleinen, zu 2/3 italienischen Afrikaarmee nach El-Alamein. Dann war ihr Atem zu Ende. Zu gering die Truppenstärke, die jetzt weit gespannten Fronten nur zu halten, geschweige denn, eine Entscheidung zu ihren Gunsten herbei zu führen. Materiell und personell weit überlegene Gegner warfen sie zurück, zerschmetterten ihre Offensivfähigkeit, der Rest war die Rückeroberung Europas.

Den Japanern erging es nicht anders. Yamamoto hatte alles richtig prophezeit. Durch die Ausschaltung der Pazifikflotte begannen sie einen beispiellosen Eroberungsfeldzug. Von Burma über Thailand, Malaysia, Indochina, bis Neuguinea und tief in die Südsee drangen sie vor, eroberten die Philippinen und Indonesien. Bis zu 450 Millionen Menschen machte ihr Herrschaftsbereich aus. Aber ihr Moskau hieß Midway, schon im Juni 1942, wo die US Träger dank der Fähigkeit, den japanischen Funk mitzuhören, des schlichten Glücks und Nagumos Fehlentscheidung vier japanische Träger, darunter die Akagi, zu versenken vermochten. Die glänzenden erfahrenen Piloten von Pearl Harbor fielen in großer Zahl, der Samuraigedanke, keinen Wert auf Fallschirme und Überleben zu legen, erwies sich im modernen Krieg als Dummheit. Während Schiff um Schiff, Träger um Träger die Werften Nordamerikas verließen, in den USA massenhaft Piloten bestens ausgebildet zu den Fronteinheiten kamen, konnten die Japaner das nicht ersetzen, nicht die Flugzeugträger, nicht die Piloten. Miserabel vorbereitet fielen die Neuen, blutjunge Fanatiker, in ihren ersten Einsätzen und taugten nur zum Kamikaze. Japan kämpfte nach Midway gleichfalls defensiv und wurde im Inselspringen immer weiter zurückgedrängt. Selbst wenn eine wirkliche Ausschaltung Pearl Harbors gelungen wäre, die Midway Katastrophe nicht geschehen, hätte das am Ergebnis nichts geändert, den Krieg allenfalls nur verlängert, um die Monate, die die USA mehr gebraucht hätten, Saipan zu erreichen, dort die Basis für ihre B-29 einzurichten, von der aus sie dann die Atombomben hätten werfen können. Und sogar ohne diese hätte das 1945 wie eine Flutwelle laufende Rüstungsprogramm alles vernichtet, was noch im Wege stand, es wären nur mehr Amerikaner gefallen.

Epilog

Yamamoto wurde zum heimtückischen Staatsfeind Nr. 1 der US Propaganda. Ausgerechnet eine sarkastische Bemerkung über seine kriegslüsternen Gegner in Japan, wer die USA kapitulieren lassen wolle, müsse das schon im Weißen Haus diktieren, die ihren Weg in die Staaten gefunden hatte, wurde wortwörtlich genommen und neben dem Überfall im Frieden auf die Flotte die Ursache, dass er zur Unperson wurde. Roosevelt persönlich genehmigte den Plan, als der US Aufklärung bekannt wurde, dass er am 18. April 1943 die japanische Garnison auf Bougainville besuchen würde, ihn mit einer ganzen Staffel Lightnings zu erwarten und abzuschießen. Es blieb ihm erspart, die von ihm erwartete totale Niederlage Japans zu erleben. Admiral Nagumo, der bei Pearl Harbor den Auftrag nicht zu Ende geführt hatte, die kriegsentscheidende Schlacht bei Midway verloren, bis zuletzt glücklos blieb, entleibte sich 1944 rituell. Auf den Massenschlächter Tojo wartete der Henker. Genda überlebte, nach dem Krieg baute er die japanische Luftwaffe gemeinsam mit den Amerikanern neu auf und war zeitweise Abgeordneter der Regierungspartei, gleich Nomura, der eine Nachkriegskarriere in der Wirtschaft machte. Kurusu wurde Gastprofessor in Tokio und lebte in Japan mit seiner amerikanischen Ehefrau. Bis an sein seliges Ende betonte er immer wieder, keinerlei Wissen über Pearl Harbor gehabt zu haben, als er Hull die Note übergab. Fuchida, den eine Blinddarmoperation davor bewahrte, bei Midway zu fallen, dämmerte nach Kriegsende, dass er einer verbrecherischen Seite gedient haben könnte, erst trat er zum Christentum über, dann wurde er Missionar, einen Großteil seines Nachkriegslebens verbrachte er in den USA. Kimmel und Short wurden zu Sündenböcken ernannt und von ihren Posten umgehend entfernt. Keiner von beiden hatte jemals mehr ein aktives Kommando. Schukow hingegen stieg in den Himmel des Helden der Sowjetunion auf. Als er Stalin zu prominent erschien, degradierte dieser ihn, mit der nicht falschen Begründung, dass er ganze Eisenbahnzüge voll Geplündertem für den Eigengebrauch hätte nach Hause bringen lassen. Nach Stalins Tod bekam er sein Comeback und hatte wesentlichen Anteil an Berijas Verhaftung. Guderian diente seinem Führer nach dem 20. Juli bei der Säuberung des Offizierskorps und als Chef des Generalstabs im Untergang, dann verfasste er Memoiren, in denen er beschrieb, wie er den Krieg gewonnen hätte, wenn dieser Hitler ihn nicht immer dabei gestört hätte. Von Bock verließ sein Gut im April 1945 und wollte nach Plön, um sich Dönitz anzudienen, unbekannt, was ihn auf diese höchst absonderliche Idee kommen ließ, Tiefflieger töteten ihn auf dem Weg, der einzige Feldmarschall der Wehrmacht, der durch Feindeinwirkung starb. Feldmarschallskollege von Kluge beging im August 1944 Selbstmord, um Gestapo und Volksgerichtshof zu vermeiden. Er hinterließ einen Schatz an Zitaten, von denen „ja, wenn das Schwein tot wäre“, über Hitler am 20. Juli, mit dem er sein Versagen begründete, sicher das hübscheste ist. Hoepner putschte gegen Hitler, Wlassow wechselte die Seiten, beide wurden hingerichtet. Göring nahm in Nürnberg in der Zelle Gift, Himmler bei seiner Gefangennahme. Heydrich starb 1942 beim Attentat und konnte so dem Galgen entgehen. Seine Witwe klagte nach dem Krieg auf Pension und bekam Recht.

Über dem versunkenen Wrack der Arizona errichteten die Amerikaner eine Gedenkstätte. Gemeinsam mit dem Denkmal in Chimki und der Wannseevilla erinnert sie noch heute an die Fateful days.

 

Erschienen am 11.12.2018 bei Ruhrbarone

Über Waldemar Alexander Pabst

Undogmatischen Konservativer. Nazifeind, Antikommunist, entschiedener Gegner jedes religiösen Totalitarismus, Rassismus und nicht zuletzt der Verschwörungstheoretiker. Bekennender Israelfreund und das, was man einmal einen “Atlantiker” nannte. Vertritt uneingeschränkt das Gesellschaftssystem der freien Welt. Blog: https://schwarzoderweiss.wordpress.com/

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