//
du liest...
Waldemar

Ein perfides Spiel

„Die Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft, einem Machtwort, das zunächst die Gewaltenteilung aufheben will, die in diesem Beitrag formuliert wird, finde ich allgemein – aber gerade im deutschen Kontext – beunruhigend.“ kommentierte stirnrunzelnd J. Goschler die Freude darüber, das ausgehend von der Kanzlerin ein Parlamentsbeschluss herbeigeführt wurde, um die Rechtsfolgen des Kölner Urteils zur Beschneidung zu beseitigen. Abgesehen davon, dass es natürlich grober Unfug ist, Beschlußfassungen von demokratisch gewählten Parlamenten als Sehnsucht nach autoritärer Herrschaft darzustellen, zeigt der nebulöse Hinweis auf die Gewaltenteilung die Richtung, es hätte erst einmal alles seinen juristischen Gang gehen sollen, eine Ansicht, die man unter den enttäuschten Beschneidungsgegnern weit verbreitet findet. Nun soll nicht das ganze unappetitliche Fass wieder aufgemacht werden, jedoch hat der Berliner Tagesspiegel heute verdienstvoll den tatsächlichen Ablauf der Geschehnisse, die zu jener Diskussion erst geführt haben, dokumentiert und damit erschreckend mit der Mär der leidenschaftslosen Justiz in diesem Falle aufgeräumt, vielmehr eine abgekartete Inszenierung bloßgelegt, die angesichts der sensiblen Thematik eine gewisse Sprachlosigkeit hinterlässt. Eines jedenfalls kann schon jetzt nicht mehr hinterfragbar sein, die unbedingte Notwendigkeit für den Gesetzgeber, einzuschreiten.

Die Akteure sind ein Rechtsprofessor, der die Strafbarkeit der Beschneidung zum Inhalt seines Wirkens gemacht hat, eine Staatsanwältin, die sich dieser grenzwertigen Vorliebe anschloß und eine dreiköpfige Landgerichtskammer, die dem folgte. Und ein perfekter Fall. Eine anzeigende Mutter aus tiefer Besorgnis, die der deutschen Sprache kaum mächtig ist, des deutschen Rechtssystems wohl eher gar nicht, eine im Nachhinein sich als medizinisch fachkundig herausstellende Beschneidung, die dazu führte, dass ausschließlich die Frage der Strafbarkeit der Beschneidung als solcher von Belang wurde und das Institut des Verbotsirrtums, denn der Arzt konnte durch die jahrzehntelange andere juristische Praxis nicht davon ausgehen, dass die Beschneidung strafbar wäre, was in diesem Fall zum Freispruch führte und damit zur Unmöglichkeit der Revision. Diese klug erdachte Konstellation ließ fünf Menschen Rechtsgeschichte schreiben, ein Jahrtausende altes religiöses Ritual von Juden und Moslems ausgerechnet in Deutschland zur Straftat werden. Denn Putzke, wie der Professor mit der Beschneidung als Lebenshobby heißt, sorgte, wie man im Tagesspiegel nachlesen kann, durch persönliche Kontakte für die deutschlandweite Verbreitung. Die rein juristische Folge war, dass von nun an jeder, der eine Beschneidung vornehmen würde, Kenntnis vom Urteil hätte, damit dem Risiko einer Bestrafung mit allen standesrechtlichen Folgen ausgesetzt wäre, denn ab sofort greift der Verbotsirrtum nicht mehr, wiederum eine solche Bestrafung aber die einzige Möglichkeit wäre, den Instanzenweg, der im Falle Köln durch den Freispruch ausgeschlossen wurde, wieder aufzunehmen. Um überhaupt die dritte Gewalt die Frage ausdiskutieren zu lassen, hätte es mindestens eines Arztes bedurft, der bewusst ohne Erfolgsgarantie seine Existenz um der Sache Willen auf das Spiel setzte. Keine Frage mehr, warum unverzüglich alle Kliniken die Beschneidungen einstellten, schon aus Fürsorge für ihre Ärzte hatten sie keine andere Wahl. Die feinsinnigen Zutaten dieses Falles, die ganz offensichtlich bewusst genutzt wurden, haben im Gegensatz zur bisherigen allgemeinen Auffassung keine Rechtsunsicherheit geschaffen, sondern die Beschneidung ab sofort unmöglich gemacht, ohne einen Rechtsweg zu eröffnen. Dies so glasklar aufgedeckt zu haben, gebührt dem Tagesspiegel ein großes Verdienst. Wie lange es theoretisch gedauert hätte, bis die Beschneidung durch bewusst strafbar handelnde Ärzte bei BGH und BVerfG gelandet wäre, steht unter diesen Umständen in den Sternen. Nathan Warszawskis finster resignierter Schlussfolgerung unter dem Titel Post Mortem, dass dies bereits ein Beschneidungsverbot wäre und damit jüdisches Leben in Deutschland zum Aussterben verurteilte, lässt sich nach dieser Aufklärung nicht mehr einfach widersprechen.

Zumal, wenn man sich die öffentliche Wirkung des Ganzen wieder in Erinnerung ruft. Es ist in diesem Jahr nach der Antisemitismusstudie, Grass und Augstein mit den U-Booten, Schröter mit dem Israelboykott, der nächste Meilenstein einer Entwicklung, die einem das Gruseln lehrt, ohne das Gefühl, noch wirklich überzeugend dagegen steuern zu können. Natürlich wird Holm Putzke jedes antisemitische Fühlen weit von sich weisen, im Gegenteil, er hält sich sicher für den großen Freund der Unversehrtheit des bedrohten jüdischen Knaben, wahrlich ein Schelm, wer ihm anderes unterstellte. Es ist doch völlig normal, als aufstrebender Professor die Strafbarkeit der Beschneidung jüdischer wie muslimischer Kinder zum Zentrum seiner wissenschaftlichen Arbeit zu machen. Also in Deutschland. Auch den Kölner Akteuren ging es sicher nur um ihren Ruhm, einmal Geschichte zu machen. Und all jene Zigtausende, die sich im Netz ungefragt zu Wort meldeten, jene Witzbolde, die Karikaturen mit messerschwingenden Juden veröffentlichten, sich geradezu fanatisch um das Wohl fremdreligiöser Kinder zu sorgen begannen, nein sie waren bestimmt keine Antisemiten, allen ging es nur um die gute Sache. Wer will in Deutschland schon Antisemit sein. Das unbeschreibliche Echo des Urteils, nur Kindeswohl. Bestimmt.

Und als Sahnehäubchen ließen sich die säkularen Israelfreunde aus Jungle World und Co. um der scheinbar so wichtigen Sache willen mitreißen und es damit zu, dass ein Keil in die eigenen Reihen getrieben wurde.

Warum Nathan Warszawski heute zitiert wurde? Weil mir das erste Mal danach war, seine schwarze, hoffnungslose Sicht der Dinge zu teilen. Aber halt. Am Anfang stand die Sache mit dem Bundestag. Denn ein gutes und vor allem vor dem Verfassungsgericht bestandsfähiges Gesetz könnte der Lichtblick sein. Dass die Politik überhaupt zügig eingriff, als es notwendig wurde, zeigt ja, es gibt noch Menschen in maßgeblicher Stellung, die bereit sind, die Reißleine zu ziehen. Aber es sage nach der heutigen Berichterstattung niemand mehr, es wäre zu früh gewesen.

Über Waldemar Alexander Pabst

Undogmatischen Konservativer. Nazifeind, Antikommunist, entschiedener Gegner jedes religiösen Totalitarismus, Rassismus und nicht zuletzt der Verschwörungstheoretiker. Bekennender Israelfreund und das, was man einmal einen “Atlantiker” nannte. Vertritt uneingeschränkt das Gesellschaftssystem der freien Welt. Blog: https://schwarzoderweiss.wordpress.com/

Diskussionen

3 Gedanken zu “Ein perfides Spiel

  1. Den Verdacht hatte ich von Anfang an: Hier suchten Juristen mit aller Verschlagenheit nach einer Handhabe, ihrem Antisemitismus eine rechtliche Grundlage zu geben. Doch mir fehlten die Beweise. Nun sind sie erbraucht. Ein dumpf heraus geblökter Antisemitismus wirkt ja fast schon putzig gegen diesen Hass, der Rechtschaffenheit heuchelt. Würg! (Carlos Obers)

    Verfasst von Carlos Obers | 20. August 2012, 23:20
    • So ein Unsinn. Es gibt in der Rechtssprechung immer wieder Meinungsumschwünge, die von Arbeiten einzelner Personen ausgelöst wurden. Das war damals so mit der Einschätzung der Wehrmachtsdeserteure, der Homosexualität, der Gleichberechtigung und heute eben mit der Beschneidung. Wer das Thema in die Antisemitismusecke schieben möchte, führt ohnehin Scheingefechte, die an der Sache vorbei gehen und ziemlich kontraproduktiv sind. Die Grundfrage, die hier die meisten Menschen beschäftigt ist, wem der eigene Körper eigentlich gehört. Für die meisten Menschen ist es schlicht unvorstellbar, dass da aus nicht zwingend medizinischen Gründen an einem herumgeschnippelt werden könnte. Dieses Grundgefühl scheint auch immer mehr Menschen in Israel zu bewegen, und auch deren Motivation ist sicherlich nicht Antisemitismus.

      http://wissen.dradio.de/religion-ungeliebtes-ritual.38.de.html?dram:article_id=217832

      Verfasst von Andreas | 21. August 2012, 14:04
  2. Die Kommentare und Sichtweisen der Beschneidungsbefürworter lösen so langsam nur noch Stirnrunzeln aus. Jetzt also auch noch Verschwörungstheorien. So, als ob es die weltweiten Diskussionen zu diesem Thema nicht schob seit Jahren gegeben hätte. Man schaue mal aktuell nach Norwegen, oder vorher nach Schweden. Die vielen Kommentare unter dem Artikel des Tagesspiegels geben einen guten Überblick, wie dieser Artikel wohl wirklich zu bewerten ist. Das Kölner Urteil ist lediglich ein weiterer Höhepunkt in einen Umdenkprozess, der auch in anderen Ländern längst begonnen hat, selbst in Israel. Wie das Kölner Urteil zustande gekommen ist, spielt daher überhaupt keine Rolle. Es ist überfällig und hätte auch in jedem anderen Rechtsstaat gefällt werden können. Der Widerspruch zwischen der Garantie der körperlichen Unversehrtheit und religiösen Bräuchen verlangte irgendwann einmal eine juristische Klärung. Die Hoffnung auf eine Klärung durch die Bundesregierung ist übrigens naiv. Der Beschluss diente in erster Linie der Beruhigung der verschiedenen Religionsgruppen. Eine Regelung, die nicht von vornherein verfassungswidrig ist, ist kaum vorstellbar. Schließlich war die freie Religionsausübung durch die geltenden Gesetze schon immer eingeschränkt und es ist auch nicht vorstellbar das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit nur für Jungen einzuschränken. Das wäre dann gleich noch ein Verstoß gegen die Gleichberechtigung. Nein, die Entwicklung und die Diskussionen sind grundsätzlich zu begrüßen. Insbesondere auch im Interesse aller mehr weltlich orientierten Menschen muslimischen und jüdischen Glaubens, die bisher nur aus Tradition und Druck ihre Söhne haben beschneiden lassen. Viele Juden in Deutschland haben mit dem Urteil ohnehin keine Probleme. Da viele aus der ehemaligen UdSSR kommen und daher selber nicht beschnitten sind, ist der Anteil der unbeschnittenen Juden in Deutschland sehr hoch. Das wäre ohnehin mal eine interessante Frage. Darf ein unbeschnittener Jude seinen Sohn beschneiden lassen? Oder darf ein Jude, der es mit den Geboten seiner Religion auch sonst nicht sehr ernst nimmt, sein Kind beschneiden lassen?

    Verfasst von Andreas | 21. August 2012, 11:30

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: